Die Shoppingmaschine

Qualität machte Google zur besten und erfolgreichsten Suchmaschine der Welt. Und „googeln“ zu einem Markenbegriff. Doch wer heute Wissen sucht, wird mit Werbung bombardiert. Das nervt

von MATTHIAS URBACH

Lassen wir die Silicon-Valley-Mythen mal beiseite. Reden wir nicht über Rollhockeyturniere oder die Lavalampen-Sammlungen im Foyer in Mountain View. Google ist nicht irgendein cooles Hippie-Startup. Google ist ein anderes Wort für „suchen“. Google ist eine Weltmacht.

Sieben von zehn Suchanfragen, die Menschen irgendwo auf diesem Globus in ihre Tastatur tippen, landen am Ende auf einem Google-Rechner. Entweder direkt oder auf Umwegen, weil inzwischen auch Yahoo, T-Online und AOL googeln. Die Startseite von Google steht in 88 Sprachen zur Verfügung. Jeder zweite deutsche Surfer sucht mindestens einmal im Monat unter www.google.de. Muss uns das Sorgen machen? Google ist doch bloß ein Werkzeug. Oder?

Zwei Dinge haben Google groß gemacht. Erstens der gute Suchalgorithmus, der jahrelang besser Schund von Gesuchtem trennte als der der Konkurrenz. Zweitens die schnörkellose Startseite, die auf Anraten des Usability-Gurus Jakob Nielsen schlicht blieb wie ein Verkehrsschild, während bei der Konkurrenz das Suchfenster zwischen Werbung und Nachrichten oft kaum noch zu finden ist.

Google ist „eine Person geworden“, die helfe, so beschreibt Google-Gründer Larry Page sein Produkt. Eine gute Suchmaschine sollte nicht den Charakter eines Kioskverkäufers haben, eher den einer diskreten Bibliothekarin. Sie geht durch die Regalreihen und holt das gesuchte Buch. Natürlich würden wir die Bibliothekarin ungern nach einem Ratgeber über Prostatakrebs oder Bierdeckelsammlungen schicken. Ins Google-Suchfeld gleiten solche Worte ohne Scham. Liest doch keiner.

Tatsächlich liest Google alles mit. Wer Google nutzt, wird über einen Eintrag auf seinen Computer identifiziert. Wer die Google-Toolbar nutzt, sendet noch etwas ausführlicher Daten über seine Suchanfragen nach Mountain View. Beide Funktionen lassen sich deaktivieren – nur weiß das kaum einer. Natürlich sammelt Google keine E-Mail-Adressen, Namen oder Telefonnummern. Aber es entstehen Kunden-Profile, die sich wunderbar vermarkten lassen: Google weiß etwa, was sich Schwangere als Erstes kaufen oder welche Musik sie bevorzugen. Oder welche Fragen Kinder umtreiben: Im August, publiziert Google, waren es „Geburtstage“, „Planschbecken“ und „Playmobil“.

Theoretisch ist das Internet eine riesige Bibliothek, in die jeder seine eigenen Geschichten stellen kann – nur was nützt es, wenn sie niemand findet? 3,3 Milliarden Internetseiten hat Google im Moment registriert. Wenn ein Buch nicht von der Suchmaschine gelistet wird, ist es so, wie wenn es in der Bibliothek im falschen Regal steht: Niemand kann es finden. Eine ganz normale Suchanfrage endet heute lässig bei 100.000 Treffern. Die Bibliothekarin muss also für uns vorsortieren. Doch im Internet suchen geistlose Maschinen: Früher registrierten die Suchmaschinen lediglich, wie oft ein Suchwort auf einer Internetseite vorkam, und sortierten nach der Trefferzahl. Die Stanford-Doktoranden Larry Page und Sergey Brin wollten eine menschliche Komponente einfügen und erfanden den PageRank.

Diese Rangfolge entsteht durch die Zahl der Verweise (Links), die auf eine bestimmte Seite führen. Sie werden in der Regel von Menschen gesetzt. Zusätzlich wird bewertet, wie hoch der PageRank der Seiten ist, von der die Links kommen. Wird also eine Seite von vielen anderen empfohlen, die selbst beliebt sind, kommt sie ganz nach oben auf die Trefferliste. 1998 liehen sich Page und Brin 100.000 Dollar und gründeten Google. Doch der PageRank lässt sich austricksen, man braucht nur eine halbwegs respektable Webseite als Basis und darum herum ein Netz von sich gegenseitig verlinkenden Seiten, die nur aus Stickwörtern bestehen. „Linkfarmen“ oder „Google-Bombing“ heißt die Methode.

Das Ergebnis ist nervtötend. Man will zum Beispiel einen Videorekorder anschaffen und sich vorher informieren. Auf die simple Anfrage „videorekorder“ und „test“ listet Google.de 25.200 Treffer. Treffer eins, zwei und fünf verweisen auf die Firma yopi.de, angeblich eine Preisvergleichsmaschine. Neben jedem vorgeschlagenen Gerät prangt ein Link zu eBay. Wenn man einen Preisvergleich durchführt, erhält man als Ergebnis stets zwei bis drei Preisangebote bei amazon.de. Und das noch nicht mal für Rekorder, sondern für CDs. Treffer drei und vier führen auf zwei Seiten mit identischem Inhalt, auf denen keines der beiden Suchwörter vorkommt. Und so geht es fröhlich weiter.

Vor allem eBay und amazon.de gelingt es, einerseits mit ihren gut dotierten „Affiliate Programs“ viele Partner-Webseiten anzuheuern, was automatisch zu einem hohen PageRank führt. Verbunden mit den vielen Fake-Seiten, führt jede Produktsuche schnell zu einem der beiden Online-Giganten. Man sollte nun annehmen, dass Google schnell dabei wäre, solchen Missbrauch auszuhebeln. Tatsächlich können die Nutzer solche Spam-Seiten melden. Ein Google-Sprecher beteuert auf Anfrage, dass ein Team von 30 Experten daran säße, den Algorithmus ständig zu verbessern, um solchen Missbrauch zu beenden. Zumeist aber, klagen Branchenbeobachter, bleiben die beanstandeten Seiten im Index. Nur warum?

Google baut einen zweiten Bereich auf, der das Kerngeschäft schon bald übertrumpfen könnte. Google makelt Werbung. Und das geht so: Die Kalifornier mieten Fläche auf dem Portal eines Anbieters, zum Beispiel focus.de oder cinema.de, und bieten darauf „sponsored links“ an. Je nach Inhalt der angezeigten Seite, stellt nun Google die passende Werbung dazu, ausgewählt nach Keywords und veredelt durch die Marketingdaten, die die Surfer beim Suchen auf Google hinterlassen.

Die bezahlten Surftipps garnieren im Übrigen auch die Suchergebnisse von Google selbst. Für dieses „AdSend“ genannte Angebot konnte Google bereits 150.000 Werbekunden weltweit gewinnen. Über die Zahl der Internetanbieter, die AdSend nutzen, schweigt sich Google aus: Sie nehme stark zu. Die neuen Ambitionen wurden von Google-Fans bislang kaum wahrgenommen. Aber ein bisschen merkwürdig ist es schon, wenn man erfährt, dass die Lieblingsbibliothekarin im Nebenjob für Bücher wirbt.

Suchmaschinen sind eben nicht neutral. Es sind Unternehmen, die schon mal ein paar Verweise aus dem Index nehmen, um Ärger mit Regierungen oder Konzernen zu vermeiden. Und die Werbepartnern nicht wehtun wollen. Gegen das drohende Filter-Monopol hilft nur eins: eine andere Suchmaschine ausprobieren. Zum Beispiel einen „Metasucher“, der gleich mehrere Suchmaschinen einspannt, wie metaspinner.de oder vivisimo.com.