silke burmester
: Surfen auf der „Flüchtlingswelle“

Es ist nicht immer leicht, die richtige Wortwahl zu treffen. Vor allem, wenn ein Springer-Blatt über Migranten berichtet

Die Norddeutschen sind Unwetterwarnungen gewohnt. Vor allem im Herbst kommt es vor, dass von Flutwellen die Rede ist, die auf die Küste zurollen und Land und Leute bedrohen.

Also machen die Fischköppe die Schotten dicht, wenn eine Flutwelle droht. Vor allem, wenn die Katastrophe mit dem Wort „gigantisch“ angekündigt wird. Das Hamburger Abendblatt hat in der vergangenen Woche auf dem Titelblatt eine gigantische Welle vorhergesagt. Allerdings keine aus Wasser. Unter dem Titel „Flüchtlingswelle kommt“ verweist das Springer-Blatt auf den italienischen Geheimdienst und schreibt: „Auf Europa rollt eine gigantische Flüchtlingswelle aus Afrika zu.“ Als handele es sich alternativ um eine Heuschreckenplage, die dieses Land kahl zu fressen droht, heißt es weiter, „Mehr als eine Million Verzweifelte aus Somalia und anderen Ländern seien auf dem Weg“.

Der Artikel, der auf Seite 4 diesem Anreißer folgt, setzt sich kritisch und sehr wohl die Menschenwürde wahrend mit der dramatischen Situation der afrikanischen Flüchtlinge auseinander. Das Problem ist nicht der Artikel. Das Problem ist der Anreißer auf der ersten Seite, der klar auf jene Gefühle von Bedrohung und Abwehr setzt, die ausgelöst werden, wenn eine gigantische Welle auf einen zurollt.

Beim Abendblatt gibt man sich naiv. Das sei nicht aufgefallen und eine Negativ-Wirkung nicht beabsichtigt. Leser-Reaktionen hätte es auch nicht gegeben, aber man wolle doch stärker auf die Wortwahl achten. Das ist zwar schön, doch ein wenig spät. Eine breite Debatte um sprachliche Verfehlungen hatte es bereits Anfang der 90er-Jahre gegeben. Im Rahmen der Diskussion um Zuwanderung und die Asylpolitik hatten sich etliche Zeitungsmacher der auf Verängstigung abzielenden Sprache der Rechtspopulisten bedient, Der Spiegel war mit seinem „Das Boot ist voll“-Titel heftig in die Kritik geraten.

Nur zwei Monate, nachdem das Nachrichtenmagazin so komplett daneben gelegen hatte, formulierte der Deutsche Presserat seine Richtlinien neu. Im Jahrbuch 1991 heißt es: „Die Darstellung von Flüchtlingsbewegungen in Europa muß der menschlichen Problematik angemessen und sachlich sein. Insbesondere sollten sich Journalisten der Wirkung von emotionsschürenden Vokabeln bewußt sein und prüfen, wie weit sie zur Darstellung des Sachverhaltes nötig sind.“ Es ist tatsächlich zu befürchten, „dass das so passiert ist“, dass das Stammtischniveau niemandem aufgefallen ist, weil es letztlich der Denke entspricht.

Sollten die Verantwortlichen des Hamburger Abendblatts, die mit ihren Artikeln Ronald Schill den Einzug in den Hamburger Senat maßgeblich geebnet haben, tatsächlich an einer menschenwürdigen Berichterstattung interessiert sein, sollten sie ihre Mitarbeiter mit den ethischen Grundsätzen des Berufes vertraut machen. Lesen hilft.