Ein Plädoyer für Betriebsfrieden

BDA-Vize Kannegiesser wendet sich auf dem Treffen der Betriebs- und Personalräte in Berlin gegen die Angriffe der Politikauf den Flächentarifvertrag. Nur er garantiere den Betriebsfrieden. Merkel hält an der Aufweichung der Tarifautonomie fest

aus Berlin THILO KNOTT

Hatte die Initiative der Betriebs- und Personalräte für Tarifautonomie gestern den falschen Arbeitgebervertreter nach Berlin geladen? Da stand er, Martin Kannegiesser, und die Gewerkschafter trauten ihren Ohren nicht. Der Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) erteilte den Angriffen der Politik auf den Flächentarifvertrag eine Absage: „Wenn wir, die Tarifparteien, den Tarifvertrag weiterentwickeln, brauchen wir keinen Gesetzgeber.“

DGB-Chef Michael Sommer musste gestern bei der ganztägigen Konferenz der Betriebsräte in Berlin noch einmal an das Wort von BDI-Chef Michael Rogowski erinnern, der den Flächentarif am liebsten „auf dem Scheiterhaufen“ sähe. Seht her, sollte das bedeuten, es gibt auch andere Arbeitgeberstimmen.

Kannegiessers Auftritt zeigt, dass die Konfliktlinie bei der Tarifautonomie nicht so eindeutig verläuft, wie das die Gegner des Flächentarifs glauben machen wollen: Opposition und Arbeitgeber gegen Gewerkschaften.

Die Auseinandersetzung um die Tarifautonomie dreht sich um zwei Prinzipien – im Tarifvertragsgesetz sowie im Betriebsverfassungsgesetz. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Änderung hat die CDU im Juni vorgelegt. Sie will zum einen das Günstigkeitsprinzip so ändern, dass künftig auch die Sicherung von Arbeitsplätzen einen Vorteil für den Arbeitnehmer darstellt und etwa Lohnkürzungen erlaubt. Zum anderen will sie den Tarifvorrang aufheben. In „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ sollen Betriebsräte und Firmenvorstand verhandeln können – ohne die Gewerkschaften. Es habe Fälle gegeben, wo sich die Tarifparteien bei einer Krise des Betriebes nicht einigen konnten, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gestern auf dem Treffen, „da brauchen wir rechtliche Klarheit“.

Die Gewerkschaften freilich lehnen den CDU-Entwurf ab. „Da wird die Angst der Menschen um die Arbeitsplätze missbraucht, um den Tarifvertrag kaputtzumachen“, erklärte Sommer. IG-Metall-Chef Jürgen Peters sagte am Rande der Veranstaltung, die Gewerkschaften werden „die Betriebsräte nicht zusätzlichen Erpressungsversuchen der Unternehmen aussetzen“. Kannegiesser wollte in den meisten Punkten erst gar nicht wiedersprechen. „Der Branchentarif hat für uns Vorrang“, sagte er, er garantiere den Betriebsfrieden. Auch hält er an der im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Unterscheidung zwischen Tarif- und Betriebsparteien fest: „Wir wollen kein Einfalltor für die Entstehung von Betriebsgewerkschaften oder Arbeitnehmerzünften schaffen.“

Fünfunddreißig Prozent der Firmen weichen derzeit mit Sondervereinbarungen etwa zu Arbeitszeiten oder Lohnregelungen vom Branchentarif ab. DGB-Chef Sommer findet, dass viele Politiker bei ihren Unterstellungen von mangelnder Flexibilität „mit Dummheit geschlagen“ seien. Auch SPD-Fraktionschef Franz Müntefering sagte, es gebe bereits betriebliche Bündnisse, „das funktioniert im Rahmen der Tarifverträge“.

Doch das ist dann auch Kannegiesser zu strikt: Er will die betrieblichen Gestaltungsspielräume erweitern, als „freiwilliges Angebot“ im Branchentarif. Er glaube nicht, dass die Befürchtung von der Erpressbarkeit der Betriebsräte berechtigt sei. Viele Betriebsräte fühlen sich allerdings schon jetzt erpressbar.