Ankläger, Richter und Vollstrecker

Mit der gesetzlichen Verankerung des finalen Todesschusses eröffnen sich bedenkliche polizeiliche Möglichkeiten

So sieht sie aus, die Weihnachts-Wunschliste der Law-and-Order-Anhänger: Großer Lauschangriff, finaler Todesschuss, mehrtägiger Vorbeugegewahrsam, Einsatz verdeckter Ermittler und verdachtsunabhängige Kontrollen. Und zumindest den finalen Todesschuss will sich der Hamburger Senat jetzt „spendieren“.

Seit den 70er Jahren wird die Thematik des finalen Rettungsschusses, wie er beschönigend gern genannt wird, diskutiert. Damals handelte die Polizei, wenn ein derartiger gezielter, polizeilich angeordneter und mit Tötungsabsicht abgegebener Schuss erfolgte, ohne gesetzliche Rechtsgrundlage – ihr Vorgehen war strafbar und allenfalls aufgrund von Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt. Die Staatsanwaltschaft musste sich mit der Angelegenheit beschäftigen und prüfen, ob hier solche Gründe vorlagen. Ein strafrechtliches Problem bestand zudem in der Befehlsstruktur der Polizei – der handelnde Beamte schießt in der Regel nicht aus eigenem Antrieb, sondern aufgrund eines Befehls, und die Frage, ob dieser rechtswidrig oder gerechtfertigt war, also der Vorgesetzte auch straflos blieb, war offen.

Mit der Regelung des finalen Todesschusses im Polizeigesetz wird dieses Problem umgangen. Ein solcher Schuss ist zulässig und nicht mehr strafbar, eine Einschaltung der Staatsanwaltschaft nach erfolgter Tötung findet nicht mehr statt, und ausführender wie befehlender Beamter sind abgesichert und „geschützt“. Die Polizei übernimmt also, überspitzt gesagt, in einer Institution die Aufgabe des Anklägers, der Geschworenen, des Richters und des Vollstreckers. Ein Rechtsmittel ist nicht möglich, eine Berichtigung eines Fehlers auch nicht.

Bundesländer wie Sachsen, Bayern und Brandenburg, die den finalen Todesschuss schon in ihrem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) verankert haben, verweisen auf dessen Prinzipien: Die Polizei darf danach nur vorgehen, wenn Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Sie muss das jeweils mildeste Mittel anwenden und unterliegt dem so genannten „Übermaßverbot“, darf also nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Oder, anders ausgedrückt, sie darf den finalen Todesschuss nur anwenden, wo er zur Abwehr einer akuten Lebensgefahr für einen anderen Menschen erforderlich ist, und wo ein milderes Mittel – ein Schuss in die Beine etwa – nicht ausreicht.

Unberücksichtigt bleibt dabei eines: Die gezielte, staatlich angeordnete Tötung (Todesstrafe) istnach dem Grundgesetz (Art. 102 GG) abgeschafft, also nicht zulässig. Und während andere Eingriffe in Grundrechte, etwa in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder der persönlichen Freiheit, nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses möglich und zulässig sind – nur bei besonderer Gefahr darf die Polizei vorläufig eingreifen und muss sich anschließend die richterliche Erlaubnis holen – gilt dies für den finalen Todesschuss nicht. Es kann dafür logischerweise keine richterliche Erlaubnis geben und eine Überprüfung findet nicht statt.

So gerät der finale Todesschuss in einen grundrechtsfreien Bereich und eröffnet bedenkliche polizeiliche Möglichkeiten. Oder – wie es ein Comic aus den 70ern dargestellt: „ Ich habe eine vorläufige Erschießung gegen Sie.“ Waltraut Braker

Die Autorin ist Rechtsanwältin in Hamburg