Wenn die Füße summen

„Fernhören“ und „nahtasten“ – solche Wörter werden bei Lynn Pooks Installation „A fleur du peau“ Grundlage von Sinneserfahrungen. Musik wird dabei vom Innern des Körpers heraus hörbar gemacht

„Was suchen Leute, die sich Kunst angucken?“ Der Frage will Lynn Pook nachgehen

von WALTRAUD SCHWAB

Zwangsjacke, Verkabelung, Elektroschocks – die ersten Assoziationen zu Lynn Pooks in Berlin entwickeltem Klanganzug wollen nichts Gutes verheißen. Dabei ist die 28-jährige Künstlerin weit davon entfernt, jemandem Gewalt anzutun. Im Gegenteil.

Die von der Decke hängenden Kabel und Gürtel ihrer Arbeit mit dem unübersetzbaren Titel „A fleur de peau“ werden den Probanden zwar um den Körper gebunden, aber statt Elektroden befinden sich kleine Lautsprecher ohne Membranen daran. Diese werden an Schädel, Schultern, Hände, Brustbein, Wirbelsäule, Knie, Füßen befestigt. Für den Probanden von außen unhörbar, wird danach eine Synthesizer-Komposition gespielt. In Schleifen und geometrischen Mustern kreist die Musik um den Körper. Nur über die Vibration der Knochen wird sie wahrgenommen.

Das Erlebnis bringt Kunst, Musik und Wohlbefinden zusammen. „Krass“, sagt einer, der es erlebt hat. „Unvergleichlich“. „Besonders.“ „Ich fühle mich wie jemand, der in die Länge und in die Breite gezogen und dann wieder zusammengefügt wird.“ „Wie schaukeln und stillstehen, wie fliegen und liegen.“ „Man hat versucht, mich zu explodieren, aber es war lustig.“ „Meine Füße können summen.“ „Ich hab sprechende Hände.“ „Ich war ein Flipperautomat.“

Erfahrungsberichte sind das, die durchaus von einem Perspektivwechsel zeugen: Die Kunstgenießer und -genießerinnen erleben sich plötzlich von innen nach außen und nicht umgekehrt. Sie sehen Bilder, obwohl ihnen keine vorgesetzt wurden. Sie sind nicht gefordert, die Summe intellektuell-künstlerischer Überich-Exzesse nachzuvollziehen und dabei etwas zu fühlen, sondern sie fühlen, und dann erst kommt die Kunst.

Die Töne im Körper lösen im Ohr Reize aus. Wörter wie „fernhören“ und „nahtasten“ sind plötzlich mit sinnlichen Erfahrung und nicht nur mit Fantasie belegt. Angeblich schnurren Katzen, um ihre Knochen in Vibration zu bringen und sich so zu regenerieren. Davon hat diese Erlebnis-Installation etwas.

Körper, Bewegung, Neue Medien, Musik – für eine wie Pook, die vor zehn Jahren mit dem Studium der Bildhauerei angefangen hat, ein radikaler Schritt. Dabei hatte sie doch wissen wollen, was das mit der Steinbildhauerei auf sich hat, als sie nach Stationen in Straßburg und Paris 1998 an die Kunsthochschule in Weißensee kam. Sie scheiterte. „Ich weiß nicht, was ich aus Stein machen soll. Ich kann nicht zum 1.000. Mal an einem Körper herumfeilen“, sagt sie. Stattdessen schiebt sich nach und nach der lebendige Körper in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Nicht der abstrakte oder der zum Objekt gewordene, sondern ihr eigener und der der Betrachter und Betrachterinnen. „Was suchen die Leute, die sich Kunst angucken?“ Dem will sie nachgehen.

Kaum überraschend, hat Lynn Pook angesichts dieser Frage zuerst zur Videokamera gegriffen. Mit ihr kann Kommunikation herausgefordert werden. Allerdings richtet die Künstlerin die Kamera nicht auf die anderen, sondern auf sich selbst. Sie filmt sich beispielsweise beim An- und Ausziehen. In der Galerie werden später auf zwei übereinander hängenden Monitoren beim Ausziehen nur ihr Gesicht und ihre Beine zu sehen sein. Dazwischen, da wo der unbekleidete Körper ist, bleibt leerer Raum. Er ist frei gelassen für die Fantasie des Publikums.

Ein anderes Mal konstruiert sie eine Kiste, an deren Ende sie zusammengekraucht zu sehen ist, wie sie versucht, sich in eine Kiste zu zwängen. Im Übertragen ist es die Kamera selbst, in die sie hineinwill. Die AusstellungsbesucherInnen wiederum müssen sich ebenfalls bücken, um überhaupt den Monitor sehen zu können.

Viel Spielerisches, Zufälliges, Leichtes ist Grundtenor ihrer Projekte. „Neugier und Kommunikation, den Ball zurückwerfen“, sagt Pook. Von Stein und Bewegungslosigkeit keine Spur mehr.

Obwohl, einmal entwirft sie einen Anzug aus Tüten, der gefüllt werden kann. Bei einer Performance schaufelt sie diese mit Schnee voll und wandert durch die verschneite brandenburgische Landschaft. Ein anderes Mal füllt Pook sie mit Steinen. Sie will sich so sehr beladen, bis die Tüten platzen. Aber sie platzten nicht. „Wir haben die Tendenz, einen Gegenstand darauf hin zu untersuchen, was er nützt. Davon versuche ich mich zu distanzieren.“

Mit ihrer unverstellten Herangehensweise kommt die Straßburgerin dennoch zu Lösungen, die in der Kunst bereits einen langen theoretischen Kontext aufweisen. Ihre Arbeiten zeigen in Richtung Konzeptkunst, bei der nach einigen Theorien die Idee den Körper ersetzt. Pook sagt: „Ich habe Konzept nie verstanden, obwohl ich doch schon so lange Kunst studiere. Für mich war Konzept was Trockenes, was Intellektuelles.“ Ihre Arbeiten erinnern auch an feministisch-künstlerische Positionen. Dabei spielt der Körper eine zentrale Rolle. Gewalt, Sexismus, fremdbestimmte Schönheitsbilder sind deren Themen. Pook sagt: „Für die Künstlerinnen früher stand mehr auf dem Spiel. Tabubruch, sich Raum nehmen. Davon profitiere ich. Ich kann mich frei bewegen.“

Bleibt bei Lynn Pook vorerst nur der biografische Ansatz: Die Tochter einer Tänzerin und eines Tänzers hat eine Weile gebraucht, um die Bewegung auch für sich zuzulassen. Ihr allerdings geht es nicht um die Ästhetik einer Aktion, sondern um Interaktion. So sei es auch zum Klanganzug gekommen. „Was passiert, wenn …?“, sei die Frage.

Zufällig ist viel passiert. Viel im Sinne von „positivem Feedback“. Denn Pook gelingt es mit ihrer Kunst, den Leuten ihre Fantasie, ihre inneren Bilder zurückzugeben. Die Probanden fühlen sich gut. Wellness in der Kunst also? „Warum nicht?“, fragt Pook zurück. „Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten.“

Der Klanganzug ist heute noch bis 23 Uhr in der Universität der Künste, Grunewaldstraße 2–5, Foyer, anzuprobieren. Interessenten müssen sich im Internet unter www.kh- berlin.de/ bildhauerei anmelden. Es gibt nur noch wenige freie Termine