bibliothekssterben
: Am ganz falschen Ende gespart

Da kann der Schulsenator Böger noch lange die Leseschwäche der Berliner Schulkinder mit neuen Tests kurieren: Wenn der Lesestoff fehlt, kann auch nicht gelesen werden. So einfach ist das. Oder anders ausgedrückt: Von ehemals 206 öffentlichen Berliner Bibliotheken im Jahr 1997 sind aufgrund des chronischen Finanzmangels der Stadt nur noch 115 übrig geblieben. Und das bei steigenden Leserzahlen. Zwar geben sich die engagierten Bibliotheken alle Mühe, selbst ihre alten Bestände ansprechend zu präsentieren, doch schrumpft der Topf für wichtige und neue Bücher stetig – und damit absehbar das Interesse der Lesenden.

KOMMENTAR VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Man müsste doch meinen, dass der Pisa-Schock uns zu besseren Einsichten geschüttelt hätte. Auch die EU schreibt Programm um Programm zur europäischen Wissensökonomie – aber wenn eine Berliner Schülerin mal Jakob Hein, Neues aus der Physik oder „Die Wertheims“ lesen möchte – zu teuer. Sie lebt zwar im vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit jederzeit als „Stadt des Wissens“ deklarierten Berlin. Aber Bildung sollte sie sich besser mal anderswoher organisieren. Es ist gegenwärtig so schick wie notwendig, Leuchttürme wie die großen Universitäten zu bewerben – aber auch sie bekommen nur helle Köpfe, wenn die breite Bevölkerung schon von Kindesbeinen an Zugang zu Büchern hat.

Seit Jahren schon fordern die Stadtbibliotheken andere Finanzstrukturen. Statt bezirklicher Kleinstaaterei und selbst organisierter Fusionen muss eine berlinweite Bibliothekenfinanzierung her. Außerdem ist es Aufgabe der Politik, neue, auch private Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Die unerträgliche Trägheit des politischen Apparats ist unverzeihlich. Denn eine Bibliothek ist schnell geschlossen, aber ein Kopf nur sehr langsam gefüllt.