Anschwellende Boxgesänge

Kaum ist die Buchmesse vorbei, kämpfen sich die Literaten wieder ins Rampenlicht

Im Ring suchen selbst sensible Schriftsteller die harte Tour: Auge um Auge, Zahn um Zahn

Das Publikum im ausverkauften Münchner Residenztheater hatte soeben den Boxkampf des Jahres um die deutsche Meisterschaft im Federgewicht miterlebt und feierte Peter Handke, den Sieger, mit Standing Ovations. Es war ein erbittert geführter Fight, der in die Annalen des Boxsports wie der Literaturgeschichte eingehen wird und den Handke durch technischen K. o. über Botho Strauß für sich entschied.

Nach seinem Sieg dankte der Winner dem tobenden Publikum, dann forderte er Applaus für den Verlierer. So ist Peter Handke: ein Siegertyp mit guten Manieren, nett zu jedermann. Nur im Ring hört alle Nächstenliebe auf. Da hält sich der sensible Schriftsteller an das Bibelwort: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Fünfmal schlug „die Faust Goethes“, wie Handke von seinen Fans mittlerweile ehrfürchtig tituliert wird, in einem packenden, geradezu klassischen Kampf zweier Dichterfürsten seinen Herausforderer Botho Strauß zu Boden, fünfmal stand Strauß wieder auf und stellte sich. „Vor so einem Mann ziehe ich meinen Hut“, pries Handke den Mut und die Tapferkeit des Geschlagenen. „Nicht ob einer siegt oder verliert, sondern wie einer kämpft – das zeichnet einen echten Champion aus.“

Dank der erneuten Demonstration seiner überragenden Klasse hat das österreichische Multitalent seine Mission beinahe erfüllt: Nach seiner brutalen Demontage des aufopferungsvoll fightenden Ausnahmelyrikers Durs Grünbein im Herbst des vergangenen Jahres und dem jetzigen Triumph in der Königsklasse über den gefürchteten Berliner Dramatiker Botho Strauß fehlt Handke nur noch der Friedensgürtel des deutschen Buchhandels zur unumschränkten Herrschaft in allen literarischen Gattungen.

Auf die Idee, Dichter aus dem Elfenbeinturm der Literatur herauszuholen und im Boxring gegeneinander antreten zu lassen, war Literatur-Promoter Marcel Reich-Ranicki gekommen. „Mit literarischen Quartetten allein kann man heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken“, meint der umtriebige Matchmaker, während er nebenher die Nummerngirls für den nächsten Kampf auswählt, „was die junge Generation will, ist Action.“

Deshalb suchte der Kritikerpapst nach der Einstellung des Quartetts verzweifelt nach einem Konzept für eine populäre Literatursendung. Boxende Dichter, so sein bestechender Gedanke, seien reine Leseförderung, denn nur mit drastischen Mitteln könne das Publikum wieder an die Literatur herangeführt werden.

Und der Erfolg gibt ihm Recht. Auffallend viele Youngsters, die ihren Fuß sicherlich noch nie in die heiligen Hallen eines Theaters gesetzt hatten, erlebten mit, wie Handke zu seiner Lieblingshymne „Freude schöner Götterfunken“ in den Ring marschierte. Mit Ausnahme der ersten beiden Runden beherrschte der stilistisch versierte Federgewichtler aus Kärnten den Kampf nach Belieben, und selbst eine aus der dritten Runde stammende Platzwunde am rechten Auge ließ ihn unbeeindruckt. Anders als beim ersten Treffen, das 2002 mit einem umstrittenen Punktsieg für Botho Strauß geendet hatte, vertraute der leicht übergewichtige Rechtsausleger aus Berlin diesmal viel zu selten seiner gefürchteten Geraden und wurde dafür von Publikumsliebling Handke gnadenlos bestraft.

In Runde fünf schickte Handke, der sensible Schilderer bedrückender Innenwelten, seinen Rivalen Strauß nach einer Rechts-links-rechts-Bilderbuchkombination erstmals zu Boden. In der siebten Runde musste Strauß nach einem rechten Aufwärtshaken und einer Links-rechts-Doublette gleich zweimal auf die Bretter, die für ihn sicher nicht mehr uneingeschränkt die Welt bedeuten. Nur der Gong rettete ihn vor dem Aus. Mit zwei weiteren Niederschlägen in der achten Runde schickte Handke den wortgewaltigen Zeitgeistkritiker dann endgültig in die Niemandsbucht. Der Ringrichter hatte schließlich ein Einsehen und brach den einseitigen Kampf unter den anschwellenden Boxgesängen der Handke-Fans vorzeitig ab.

Selbstverständlich gibt es altmodische Zeitgenossen, die Literaten-Fights nicht für die Ultima Ratio der Literaturwerbung halten. Ein stärkerer Körpereinsatz mag ja schön und gut sein, sagen die Kritiker dieser den Eventcharakter betonenden Literatur-Vermarktungsstrategie, alle werden die Werke des Siegers kaufen und lesen wollen – was aber passiert mit den armen ausgeknockten Losern?

Doch auch für die Verlierer der literarischen Bühnenkämpfe hat der gewiefte Marketingstratege Reich-Ranicki schon eine Lösung parat: Sie werden mit gebrochenem Nasenbein und blutender Denkerstirn in eine Spezialklinik eingeliefert, wo sie sich unter Betreuung eines erfahrenen Ärzte- und Kritikerteams von den Tiefschlägen ihrer Schriftstellerkollegen erholen können. Die Fernsehrechte an der Genesungsgeschichte der Dichter hat sich Reich-Ranickis Produktionsfirma schon gesichert. Insidern zufolge könnte es im ZDF also bald eine neue Sendung geben: „Das literarische Lazarett“. RÜDIGER KIND