„Erfolg schweißt immer zusammen“

Gespräch mit Linksaußen Stefan Kretzschmar über das Leistungsvermögen und die Perspektiven der deutschen Handball-Nationalmannschaft, die beim Supercup nach dem 36:22-Erfolg über Russland heute im Halbfinale gegen Kroatien spielt

INTERVIEW FRANK KETTERER

taz: Herr Kretzschmar, nach dem deutlichen 36:22 gegen Russland steht das deutsche Team trotz der Auftaktniederlage gegen Schweden im Halbfinale des Handball-Supercups. Welche Bedeutung messen Sie dem Turnier bei?

Stefan Kretzschmar: Sportlich gesehen hat der Supercup ein wahnsinnig hohes Niveau, schließlich spielen die sechs besten Mannschaften der Welt mit, das ist wie eine kleine WM. Für uns ist allerdings der Zeitpunkt recht ungünstig, weil wir schon relativ kaputt sind von Bundesliga und internationalen Wettbewerben wie Champions League. Das schlaucht natürlich und der ein oder andere, da nehme ich mich nicht aus, hätte mal gerne eine Woche Pause gemacht. Andererseits muss man auch den Bundestrainer verstehen. Er hat hier endlich mal wieder die Chance, seine Mannschaft mehrere Tage am Stück zu sehen. Das ist selten genug der Fall.

Welche Rückschlüsse für die EM zu Beginn nächsten Jahres kann man aus den Ergebnissen beim Supercup ziehen?

Noch gar keine. Für uns geht es in erster Linie darum, die Mannschaft zu verbessern, weiter zusammenzuwachsen, neue Dinge auszuprobieren und Rückkehrer wie Daniel Stephan und Frank von Behren neu einzubauen.

Geht es nicht auch darum, sich mit Siegen einen psychologischen Vorteil für die EM zu verschaffen?

Natürlich sind Siege immer gut fürs Selbstvertrauen. Andererseits wussten wir von vornherein, dass wir die Schweden nicht einfach so überrennen können – und dass die Kroaten ein schwerer Gegner sind, ist auch schon länger bekannt.

Dann sind Niederlagen wie die gegen Schweden zum Auftakt nicht automatisch ein psychologischer Nachteil?

Nein, das glaube ich nicht. Wir Deutschen waren in der Vergangenheit ja geradezu berühmt dafür, die Vorbereitungsturniere zu gewinnen – und dann die eigentlichen Saisonhöhepunkte zu verkacken. Vielleicht ist es diesmal anders rum. Schön wär’s.

Ist diese Mannschaft, sowohl Vizewelt- als auch Vizeeuropameister, die stärkste deutsche Handball-Nationalmannschaft seit langem?

Diese Mannschaft hat sicherlich wahnsinnig viel Potenzial. Ob es die stärkste Mannschaft seit langem ist, weiß ich nicht, aber sie ist ein gewachsenes Team, mit dem vieles, wenn nicht sogar alles möglich ist.

Was hat sich im Laufe der Jahre geändert?

Unser Spielsystem. Gerade der Lemgoer Block mit seinem schnellen Spiel ist unglaublich wichtig für uns. Und dadurch, dass schon in den letzten Jahren immer wieder Erfolg da war, ist die Mannschaft noch enger zusammen gerückt. Erfolg schweißt immer zusammen. Mittlerweile weiß die Mannschaft, was sie an jedem einzelnen Spieler hat und was sie von ihm erwarten kann. Das ist ein unglaublicher Vorteil.

Was kann man für die anstehenden Aufgaben aus der Tatsache ableiten, dass das WM-Finale nur knapp verloren wurde, obwohl Volker Zerbe, Daniel Stephan, Frank von Behren und Sie, also mehr als eine halbe Weltklassemannschaft, verletzungsbedingt gefehlt hatten?

Klar kann man daraus irgendwelche großen Dinge ableiten. Man muss aber auch sagen, dass wir bereits im Viertelfinale gegen Jugoslawien hätten ausscheiden können, da hat den Jugoslawen nur ein Tor gefehlt. Und dass wir im Halbfinale Frankreich ausschalten, war auch nicht unbedingt zu erwarten. Die Weltspitze ist unglaublich eng beieinander. Insofern ist wirklich vieles vom Glück abhängig – und von der Form. Zuletzt waren wir bei Großereignissen konditionell so auf der Höhe, dass wir unser schnelles Spiel durchspielen konnten. Jetzt hoffen wir darauf, dass der Handball-Gott endlich mal auf unserer Seite sein wird.

Und abseits vom göttlichen Beistand?

Es muss einfach ein Quäntchen mehr Glück da sein. Das ist das, was am Ende die letzten großen Turniere entschieden hat. Andererseits: Wenn Sie mir jetzt garantieren könnten, dass wir bei EM und Olympia nächstes Jahr wieder Silber gewinnen, dann würde ich sagen: Okay, das ist auch sehr schön.

Prinzipiell aber darf man schon feststellen, dass die deutsche Mannschaft mal dran wäre mit einem Titel?

Ja. Das unterschreibe ich auf jeden Fall.