Ein nervöser Ticker

In den Medien war es schon immer Sitte, exklusive Meldungen an die Nachrichtenagenturen zu geben. Steckt Zwang dahinter, wird es zur Unsitte

VON ULRIKE WINKELMANN

„Schreib das auf!“, lautet die berühmte Aufforderung an Journalisten, wahre Geschichten süffig aufzubereiten. In den Politikredaktionen bräuchte dieser Satz inzwischen eine Ergänzung: „Und gib es an die Agenturen!“ Indem das eigene Blatt als Träger einer „Exklusiv-Information“ im Ticker auftaucht, noch bevor die Zeitung in Druck geht, soll bei der Konkurrenz erstens Neugier auf den kompletten Beitrag oder Text geweckt werden. Daneben mehrt sich der eigene Ruhm – jedenfalls bei den Kollegen.

Der ordinäre Mediennutzer dagegen weiß meist überhaupt nicht, was „Ticker“ sind. Für Uneingeweihte hier also ein Beispiel: Auf dem Marktplatz von Tupfingen ist um elf Uhr ein Baum umgefallen, berichten die Nachrichtenagenturen. „Mensch, da muss doch der SPD-Fraktionsvorsitzende im Rathaus was zu sagen!“, rufen im Tupfinger Tagblatt der Chefredakteur oder die Chefin vom Dienst.

Und die politische Redakteurin ruft um zwölf bei Heinz Müller an: „Herr Müller, ist die SPD durch den umgefallenen Baum geschwächt?“ Nein, sagt Herr Müller, „ganz eindeutig geht der umgefallene Baum auf die Politik der CDU zurück. So gesehen ist die Union geschwächt.“ Dann erwähnt er noch, dass es ja schon länger ein Problem mit dem zugigen Marktplatz gebe.

Damit hat er zwar die Frage nicht wirklich beantwortet, aber das Tupfinger Tagblatt setzt um ein Uhr ein Fax an die Nachrichtenagenturen auf: „Tupfinger Tagblatt berichtet morgen: ‚Müller: CDU durch umgefallenen Baum geschwächt‘.“ Die Agenturen finden das interessant und senden die Nachricht um drei Uhr über die Ticker: „SPD-Fraktionschef Müller sieht CDU durch umgefallenen Baum geschwächt“.

Diese Auskunft – unter Verweis aufs Tupfinger Tagblatt – wird schon in den Radionachrichten um fünf und sechs Uhr verlesen, und morgen wird sie im Ober- und auch im Hintertupfinger Tagblatt zitiert.

Das kuriose Meta-Medium Medien-Tenor leistet dem Vertickerungs-Wettlauf mit einem „Zitate-Ranking“ auch noch Vorschub: Es zählt, welche Zeitung wie oft zitiert wird, auch x-fache Dementis einer Falschmeldung. Viele Journalisten träumen davon, in dieser Hitparade ganz vorne zu liegen. Darunter aber leidet der Gehalt der Nachrichten. Denn es wird oft mehr vertickert als erklärt.

„Es wird bewusst so gefragt, dass die Multiplizierung durch die Agenturen wahrscheinlich wird“, berichtet einer, der im Streit um die Arbeitsmarktreformen hundertfach befragt wurde: der SPD-Bundestagslinke Ottmar Schreiner. Die Fragen der Journalisten seien „oft nicht mehr sachlich, sondern an Agenturen orientiert“, konstatiert er. Der Kollege von der großen Wirtschaftszeitung erzählt: „Noch während ich im Berliner Büro meinen Artikel tippe, zieht die Zentrale die Zitate raus und gibt sie an die Agenturen.“ Zusammenhang, eigene These? Egal.

Der Politikredakteur der Frankfurter Rundschau, Richard Meng, schreibt 2002 in seinem Buch „Der Medienkanzler“ von der „Exklusiveritis“: Peinlich sei „nichts mehr, wenn man nur damit zitiert wird“, und das gelte für Medien wie für Politiker.

Der Drang in die Agenturen verstärkt den Druck, ein kompliziertes Thema auf eine Schlagzeile zu reduzieren – mit manchmal „tückischen“ Ergebnissen, wie der grüne Sozialpolitiker Markus Kurth schildert. Er sprach mit der Berliner Zeitung darüber, dass er eine Familienbegünstigung in allen Zweigen der Sozialversicherung nicht sinnvoll finde – dann solle man doch lieber das Kindergeld erhöhen. Die Berliner Zeitung gab prompt an die Ticker: „Grüne plädieren für höheres Kindergeld“. Einen Tag später stand es so in der Bild. Kurth musste den rot-grünen Kollegen daraufhin einiges erklären.

Aber es gibt durchaus auch Politiker, die den Multiplikations-Effekt der Ticker schätzen und nutzen gelernt haben: Geben sie ein Interview, erkundigen sie oder ihre Pressesprecher sich sofort, was davon an die Ticker gegeben wird – und wann. Geht ein Statement zu spät an die Agenturen, kommt es vielleicht nicht mehr in die Presse, aber in die Morgennachrichten.

Die Verständigung über die Vertickerung schafft so, selbst nach ungemütlichen Interviews, immer auch ein Einvernehmen zwischen Medien und Politik: Wir haben gemeinsam eine Nachricht produziert. „Win-win-Situation“ nennt man so etwas. Verloren haben dabei, meist ohne es zu merken, nur die Leser oder Zuschauer.