Merkel fügt sich dem Druck ihrer Partei

Die CDU-Chefin will jetzt doch keine Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei sammeln. Als Grund nennt sie die Sorge, Rechte könnten die Kampagne missbrauchen. Vor allem aber scheiterte sie am parteiinternen Widerstand

BERLIN taz ■ Nachdem sie die Türkei-Unterschriftenaktion abgeblasen hat, steht die Stellung der CDU-Chefin Angela Merkel erneut in Frage. Ihre Unterstützer in der eigenen Partei versuchten den Rückzug gestern als Zeichen neuer Stärke zu verkaufen: „Schwierige Zeiten schweißen die Partei zusammen“, sagte CDU-Vize Wolfgang Bosbach, „die Union wird sich geschlossen hinter Merkel stellen.“

Doch so einfach lässt sich die Debatte nicht zu den Akten legen. Merkel hat es geschafft, türkischstämmige Wähler dauerhaft zu verärgern. Als „einziges Desaster“ bezeichnete der Vorsitzende der Türkische Gemeinde in Deutschland, Hakki Keskin, die Türkeipolitik der Union. Die Gemeinde überlegt, die Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2006 zu boykottieren.

Offiziell hat Merkel das Aus für die Kampagne beschlossen, um Missbrauch durch die Rechten auszuschließen. Vor Unionsministerpräsidenten sagte die Parteichefin am Donnerstag, sie habe „viele Briefe erhalten“, in denen dies befürchtet wird. Sie nehme das ernst, sage Merkel.

Eigentlicher Grund war jedoch der parteiinterne Druck. Die Wahlkämpfer in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wollten die Unterschriftenaktion ebenso wenig mittragen wie der niedersächsische Ministerpräsident und Verbündete Christian Wulff. Laut einer Umfrage, die die Forschungsgruppe Wahlen gestern veröffentlichte, lehnen 64 Prozent der CDU-Anhänger die Aktion ab.

Diese parteiinterne Schwierigkeiten wollte Merkel durch den Verweis auf möglichen Missbrauch schönreden. Besonders glaubwürdig war das nicht – nach fünf Tagen Protest aus den eigenen Reihen. Zudem steht die gebürtige Ostdeutsche als ziemlich ahnungslos da. Seit den Wahlsiegen im Osten, spätestens jedoch seit den Bestrebungen zur Kooperation zwischen DVU und NPD ist klar: Die extreme Rechte sucht ein Thema, um eine größere Anhängerschaft zu mobilisieren. Bereits im vergangenen Jahr verteilte die NPD Flugblätter mit dem Slogan „Deutsche wehrt Euch gegen den EU-Beitritt der Türkei“. Kaum jemand beachtete die Aktion. „Das ist jetzt natürlich anders“, frohlockt NPD-Sprecher Klaus Beier, „wir sind dankbar für die Starthilfe der Union.“

Doch trotz und gerade wegen des rechten Engagements wird der CDU die Diskussion um eine Kampagne weiter verfolgen. „In der Sache“ will die CDU hart bleiben“, bestätigte Unionsvize Bosbach gestern: Kein EU-Beitritt der Türkei. „Die Forderung nach einer Unterschriftenaktion wird in der Partei nachwirken“, sagt der Bremer Parteienforscher Lothar Probst. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn DVU und NPD mit ihren Unterschriftenaktionen Erfolg hätten. „Dann ist absehbar, dass Unionspolitiker das Thema wieder aufgreifen“, sagt Probst. Neuer Streit wäre vorprogrammiert.

DANIEL SCHULZ