Steuern zahlen – so ein Spaß!

CDU-Fraktionsvize Merz legt ein radikal einfaches Steuermodell vor. Gut. Der Nachteil: Es bleibt Vision und verträgt sich schwer mit der CDU-Sozialreform

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER
und HANNES KOCH

Von einem unangenehmen Ereignis lässt sich ablenken, indem man eine vorteilhafte Nachricht in die Welt setzt. Nach diesem Prinzip verfährt gerade die Union. Die für CDU-Chefin Angela Merkel schlechte Nachricht: Rot-Grün wird sich mit seiner vorgezogenen Steuersenkung zum 1. Januar durchsetzen, weil auch christdemokratische Ministerpräsidenten wie Erwin Teufel (Baden-Württemberg) ihren Landeskindern nicht erklären wollen, warum niedrigere Steuern schlecht sein sollten. Ein Mitarbeiter der CDU-Bundestagsfraktion meint: „Jede Wette, die rot-grüne Reform kommt“ – mit der Unterstützung der Unionsländer im Bundesrat.

Spätestens seit der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels ein Spitzengespräch beim Bundeskanzler forderte, um die Steuersenkung zu retten, steht die Union auf verlorenem Posten. Nur zu gern bot Kanzler Gerhard Schröder (SPD) seiner CDU-Konkurrentin Merkel gestern abermals an, einen „Steuergipfel“ abzuhalten. Selbstverständlich würde die Veranstaltung unter der Hoheit von Rot-Grün laufen. Die Union kann dabei nur verlieren.

Rechtzeitig zur bevorstehenden Niederlage präsentiert Fraktionsvize Friedrich Merz (CDU) nun sein großes Steuerkonzept. Am Montag wird es offiziell vorgestellt. Mit den Niederungen der aktuellen Debatte gibt Finanzexperte Merz sich nicht ab. Stattdessen entwirft er eine wohlklingende Vision für eine schöne Zukunft. Mit zwei zentralen Botschaften wirbt Merz um die Wähler: Klarheit und Gerechtigkeit.

Das künftige Steuersystem soll möglichst einfach sein. „Heute blicken noch nicht mal die Steuerberater durch“, assistiert Michael Meister, finanzpolitischer Sprecher der Union. Also schlägt Merz vor, viele – nicht alle – gruppenspezifischen Steuervergünstigungen abzuschaffen. Für Normalverdiener relevant: Der Arbeitnehmerpauschbetrag, der Sparerfreibetrag und die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Job sollen fallen. Zugleich gelten nur noch wenige, extrem simple Regeln für die Berechnung der Steuer. Merz’ Idee: Jeder kommt mit einer Seite Erklärung beim Finanzamt aus.

Angewandt auf eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern, bedeutet Merz’ Konzept dies: Weil jede Person einen Freibetrag von 8.000 Euro bekommt, sind 32.000 Euro Bruttojahreseinkommen komplett steuerfrei. Das ist mehr als im gegenwärtigen Steuertarif. Wenn die Familie bis zu 40.000 Euro verdient, bezahlt sie für die 8.000 Euro jenseits der Streuerfreigrenze gerade einmal 12 Prozent an den Staat. Das macht 960 Euro im Jahr – da freut sich das Portmonee. Verdient unsere Familie zwischen 40.000 und 64.000 Euro, soll sie für diesen Betrag zusätzlich 24 Prozent Steuern entrichten. Für alle Einkünfte, die über 64.000 Euro hinausgehen, würden 36 Prozent Abgaben zusätzlich fällig.

Diese Steuersätze klingen überzeugend niedrig. Merz will Schröders Neue Mitte, vor allem die Familien der Mittelschicht, zurück ins eigene Lager holen. Ob mit diesem Konzept allerdings eine tatsächliche Entlastung der Bürger verbunden ist, lässt sich bislang schwer beurteilen. Obwohl Merz insgesamt etwa 45 Milliarden Euro umschichten will, würden Bürger und Unternehmen unter dem Strich nur rund 5 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben, heißt es aus Unionskreisen.

Wozu also die Übung? Als Finanzpolitiker liegt Merz daran, durch ein einfaches, klares System die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns zu erneuern. Als Liberalem ist es ihm ein Anliegen, die Steuer als Steuerungsinstrument des Staates zu entwerten. Und als Taktiker der Macht weiß er, dass er nur mit einem mutigen Wurf in die Offensive kommen kann. Merz’ Steuerkonzept ist Teil eines Regierungsprogramm einer konservativen Koalition für 2006.

Mitarbeiter der Unionsfraktion schätzen die Lage so ein, dass der Plan zunächst wenig realpolitische Relevanz haben wird: „Wir haben gar keine Hoffnung, das mit Rot-Grün machen zu können.“ Gestern freilich fielen die Reaktionen des Regierungslagers nicht unbedingt feindselig aus. Für SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück (NRW) geht das Merz-Konzept „in die richtige Richtung“. Und Grünen-Politikerin Christine Scheel sagt: „Vereinfachung ist richtig.“

Wie viel von der Vision des CDU-Fraktionsvize übrig bleibt, hängt jedoch auch von den Vorlieben seiner eigenen Parteifreunde ab. Die Reaktionen aus den starken unionsregierten Südstaaten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen fielen gestern etwas reserviert aus. „Ich begrüße, dass nun ein konkreter Vorschlag zur radikalen Steuerverteinfachung auf dem Tisch liegt“, sagte etwa Hessens Finanzminister Karlheinz Weimar der taz. Er will sich das Papier erst mal im Detail anschauen – wie die Kollegen in München und Stuttgart.

Die Zurückhaltung der Finanzminister im Süden hat ihren Grund. Alle drei werden ein besonders kritisches Auge auf das Merz-Modell werfen. Bayern, weil Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sich aus sozialen Gründen bereits vor Wochen gegen den Stufentarif ausgesprochen hat, den Merz plant. Baden-Württemberg, weil sich Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) als Bewahrer und Behüter des Mutterkonzepts von Merz sieht. Stratthaus steht in ständigem Kontakt mit dem eigentlichen Erfinder der Einfachsteuer, Paul Kirchhof. Und Hessen schließlich, unter Kochs Vorgänger Hans Eichel noch ein prosperierendes Land, versinkt derzeit in Schulden.

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