„Die wollen uns platt machen“

Die Mitarbeiter von Opel Bochum sind im Ausstand. Betriebsräte und Gewerkschafter sehen hilflos zu: So etwas nennt sich „wilder Streik“

AUS BOCHUM KLAUS JANSEN

Thomas Stenzel stützt sich auf die rot-weiße Schranke vor dem Tor 4 des Opelwerks 1 in Bochum. Normalerweise baut der Mann im grauen Overall Radios und DVD-Player in neue Opel-Fahrzeuge ein. Heute arbeitet er nicht. „Eigentlich sollten wir hier nicht vor dem Tor stehen, sondern ein paar Straßenbahnen umschmeißen gehen“, brummt er über die Schranke hinweg.

Seit Donnerstagnachmittag, als der Mutterkonzern General Motors den Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen im Werk angekündigt hat, geht bei Opel Bochum überhaupt nichts mehr. Ob Spätschicht, Nachtschicht oder Frühschicht – alle Arbeiter haben sich geweigert, an die Maschinen zu gehen. Und das, obwohl der Betriebsrat noch am Mittwoch zu Besonnenheit aufgefordert hatte – und obwohl die Kollegen in Rüsselsheim, wo ebenfalls 4.000 Jobs wegfallen sollen, ihren Dienst angetreten haben. In Bochum interessiert das nicht: „Dat is, wie wennste auf der Straße vermöbelt wirst – dann willste dem anderen auch noch möglichst viele Schmerzen zufügen“, erklärt Olaf Wenger die Arbeitsniederlegung – im Ruhrpott denkt und spricht man so. Der Arbeiter mit dem Dreitagebart und der Lederkappe von Schalke 04 auf dem Kopf ist sich sicher: „Die nächsten Tage läuft hier auch nichts, wenn es keine volle Beschäftigungsgarantie gibt.“

Schon als vorgestern, kurz nach Bekanntgabe der Kürzungspläne des Konzerns, 1.500 Mitarbeiter vor dem Werkstor protestierten, war klar: Die Belegschaft der Bochumer Opelwerke befindet sich in einem wilden Streik. Weder IG Metall noch Betriebsrat haben zu Protesten aufgerufen – schließlich herrscht Friedenspflicht, solange in der Rüsselsheimer Konzernzentrale verhandelt wird. „Die Mitarbeiter streiken nicht, sie stillen nur ihren Informationsbedarf“, verkündete deshalb auch der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn noch am Donnerstag im Bochumer Rathaus.

Im Blitzlichtgewitter der Fotografen im mit schicken Samtvorhängen geschmückten Sitzungssaal mochte diese offizielle Sprachregelung noch Wirkung haben – in der zugigen Einfahrt des Bochumer Opelwerks haben Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter keine Chance, die traditionell kampfeslustige Belegschaft zu kontrollieren: „Geplant ist da nichts“, muss Wolfgang Nettelstroth, Sprecher der mächtigen nordrhein-westfälischen IG Metall, einräumen. Ein Betriebsrat sagt: „Die ganze Sache ist aus dem Ruder gelaufen.“

Einer der wenigen, die nicht in Arbeitskleidung vor dem Werkstor erschienen sind, ist Peter Jaszczyk. Der frühere Betriebsratschef und Opel-Aufsichtsrat trägt eine dicke Hornbrille und ein blaues Hemd. Er hatte am Dienstag als einer der Ersten dazu aufgerufen, „sich nicht alles gefallen zu lassen“ – obwohl er mit Opel offiziell seit zwei Jahren nichts mehr zu tun hat. Er ist an diesem Morgen angeblich zufällig auf dem Werksgelände aufgetaucht: „Ich wollte mir nur mein neues Auto abholen, einen Opel Meriva.“ Trotzdem spricht er ausführlich mit den Arbeitern. „Man muss sich an die Seite der Kollegen stellen“, sagt er. Und: „Zugegeben, ich wäre sowieso hergekommen.“

Den moderaten Kräften in Bochum sind solch informelle Besuche ein Dorn im Auge. „Der Jaszczyk ist doch bekloppt. Der ist nicht mal in der Gewerkschaft“, errregt sich der Bochumer IG-Metall-Chef Ludger Hinse. Hinse ist Künstler, nebenberuflich malt er Bilder, Jaszczyk hat breite Arbeiterpranken – die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. „Hinse beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Wirkung der Farbe Weiß, wie soll er da einen Arbeitskampf organisieren?“, spottet Jaszczyk. Viele Arbeiter denken ähnlich, ihre Lust auf Verhandlungen ist begrenzt: Die streikende Nachtschicht wird angeführt von Vertrauensleuten der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, und aus deren Umfeld gehen via Internet friedensstiftende Sätze wie „die Hurensöhne aus Detroit wollen uns platt machen“ in Richtung General Motors.

Bochums Opelaner wissen, dass ihre Kampfeslust den Amerikanern gute Argumente für eine Schließung des Werks liefern könnte. „Das bricht uns das Genick“, mutmaßt ein Arbeiter. „Die wollen dem Drachen Bochum den Kopf abschlagen“, sagt Peter Jaszczyk – zähmen lassen wird er sich nicht.