Rhythmische Schwingungen

Karg, still, dicht: Das schauspielfrankfurt gastierte mit Ibsens „Gespenster“ am Thalia Theater

Von einem aschfahlen Küchenstuhl sackt Mutter Helene Alving (Friederike Kammer) auf den Fußboden ihres kahlen Wohnzimmers. „Gespenster. Das Paar aus dem Wintergarten geht um“, haucht sie, während Sohn Oswald (Daniel Christensen) im Esszimmer mit der Hausangestellten Regine Engstrand (Ruth Maria Kröger) knutscht. Dabei ist sie seine Halbschwester, nur das wissen die jungen Leute nicht.

Furchtbar ist für Gutsherrin Alving nicht nur der Inzest, sondern auch, dass ihr Sohn das Verhalten seines an Syphilis gestorbenen Vaters wiederholt. Dabei schickte sie den Sohn schon mit sieben weg nach Paris. Nichts hat das genützt, der Sohn bringt die tödliche Geschlechtskrankheit nach Hause. Ein Grund für Helene Alving, mit Pastor Manders (Udo Samel) zu rechten. Der hatte sie überredet, dem Ehemann treu zu bleiben.

Wie von Henrik Ibsen in Gespenster angelegt, ließ auch Regisseur Stéphane Braunschweig beim Gastspiel des schauspielfrankfurt am Thalia Theater aufklärerische Gedanken Helena Alvings auf das Moralsystem des Pastors treffen. Sie bis zur Selbstironie kontrolliert. Er unfreiwillig komisch: Als er angeekelt in ihren Freidenker-Büchern blättert und verkündet: „Sie haben als Mutter Schuld auf sich geladen“, steht Manders auf, und Alving setzt sich. Erhebt sie sich wie eine Krähe im Trauerkleid, um dem Pastor die Hölle heiß zu machen, setzt er sich. Dieser wippengleiche Wechsel bringt das Stück in Schwingungen, gerade so viel wie nötig, um die Kraft der Worte zu unterstreichen.

Braunschweigs karge Bühne deutet den ibsenschen Naturalismus nur an. Die anfangs schwarzen Wände demonstrieren Nacht, verwandeln das Wohnzimmer aber auch in einen Sarg für lebendige Tote. Dass die Alvings eine Familie von Zombies sind, erkennt auch Helene: „Ich glaube, wir alle sind Gespenster. Nicht nur das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, geht in uns um. Es sind alle erdenklichen alten, toten Ansichten und allerhand alter, toter Glaube.“ Da fällt mit eisblauem Licht der Tag auf die Wände, er scheint Moralvorstellungen zu konservieren. Braunschweigs schlichter Inszenierung gelingt es, den Familienkonflikt nicht totzuspielen, sondern den darin drohenden Tod zu zeigen. KATRIN JÄGER