: Der weiße Irrwisch tobt
Oberligist Tennis Borussia angelt sich Paul Breitner, den Weltmeister von 1974, als Paten für seine Jugendabteilung. Der gebeutelte Club setzt auf den Nachwuchs
Es ist kalt am Kühlen Weg in Charlottenburg. Ein nicht mehr ganz junger Mann mit weißem Bart und Haupthaar rennt über einen Kunstrasenplatz und redet dabei auf eine Schar ehrfürchtig dreinblickender Knaben ein. Der weißhaarige Irrwisch jongliert mit dem Fußball, dribbelt einen virtuellen Gegenspieler aus, zeigt, wie man weite, scharf geschlagene Pässe annimmt. Und er redet auf die Kinder ein: „Wenn der Trainer ruft, dann ist es am schönsten, wenn die Kinder mit dem Ball jonglieren, während sie auf den Trainer zugehen. Tragen kann den Ball jeder.“
Die Eltern der Nachwuchskicker stehen am Spielfeldrand und fotografieren die Trainingseinheit. Es ist kein Training wie jedes andere. Denn an diesem Tag leitet Paul Breitner die Kinder an. Auf der Brust seiner Trainingsjacke prangt das Wappen von Tennis Borussia Berlin.
Ja, es gibt sie immer noch, die Veilchen. Es ist still geworden um die einstige Nummer zwei im Berliner Fußball. Ab und zu werden Neuigkeiten in der Causa Winni Schäfer über die Presse verbreitet. Der ehemalige Trainer der Berliner aus Zweitligazeiten hat versucht, gerichtlich feststellen zu lassen, ob sein Vertrag bei TeBe automatisch mit dem Lizenzentzug geendet hat oder nicht. Per Vergleich einigten sich die Konkurrenten darauf, dass Schäfer 75.000 Euro vom ehemaligen Hauptsponsor „Göttinger Gruppe“ erhält.
„Das haben wir sowieso schon lange nicht mehr als unsere Angelegenheit betrachtet“, meinte TeBe-Aufsichtsratsmitglied Willy Kausch am Rande des Trainings mit dem 74er Weltmeister Paul Breitner. Kongressveranstalter Kausch unterhält schon lange geschäftliche, mittlerweile auch freundschaftliche Verbindungen zum heutigen DSF-Fernsehexperten. So ist es ihm gelungen, Paul Breitner zu überreden, eine Patenschaft für die Jugendabteilung der Veilchen zu übernehmen. Was das genau für die Zukunft bedeutet, ob er beispielsweise eine bestimmte Aufgabe im Verein übernehmen wird, steht noch nicht fest. Jetzt hat er erst einmal das Training für die kleinen Kicker geleitet und bei einem Abendsessen mit den C-, B- und A-Jugendlichen Fragen rund um den Fußballsport beantwortet.
Nach dem desaströsen Engagement der „Göttinger Gruppe“, das TeBe statt wie gewünscht in die Champions League direkt in die Oberliga und in ein Insolvenzverfahren geführt hat, liegt das Hauptaugenmerk derzeit auf der Ausbildung des Nachwuchses. Fünf Akteure der Oberligamannschaft kommen aus der A-Jugend-Mannschaft der vergangenen Saison. Nach dem Sieg am Wochenende gegen den FC Schönberg spielt TeBe in der erweiterten Spitzengruppe der Liga mit. „Das hätte keiner erwartet“, sagt Kausch dazu. Ende des Jahres soll – wenn möglich – „die Insolvenz vom Tisch“ sein, dann gehe es darum, wieder Vertrauen zu gewinnen.
Ein Engagement wie das von Paul Breitner kann dazu schon viel beitragen. Man wolle allerdings kein Promiverein mehr werden wie zu Zeiten, als Schlagerproduzent Jack White Mäzen des Vereins war. „Das vergrault doch den Mittelstand. Die 5.000 Euro des Metzgermeisters aus dem Bezirk sind aber auch wichtig.“ Dennoch strebt man nach Höherem. „In zwei, drei Jahren müssen wir uns wieder nach oben orientieren. TeBe hat auf Dauer nichts in der Oberliga verloren“, so Kausch.
Immer noch tobt Paul Breitner mit den E-Jugendlichen über den Platz. Ihm scheint es Spaß zu machen, mit den Kindern zu trainieren. 12 Jahre lang hat er Jugendmannschaften in seinem Wohnort Brunnthal bei München geleitet. „Ich will, dass alle, die die das wollen, Spaß am Fußball haben.“ Paul Breitner predigt das spielerische Moment beim Training. Er doziert: „Das Wort Nachwuchsarbeit ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Arbeit – wenn ich das schon höre.“
Den Kindern, denen Breitner vor allem als Bundesligaexperte und weniger als Sportler ein Begriff ist – nur 6 von 16 E-Jugendlichen, wussten, dass er 1974 Weltmeister war –, macht das Training mit dem aufgedrehten Altmeister sichtlich Spaß. „Der hat sicher auch mal einen schlechten Tag“, meint dazu Hakan Yalgin, der als Nachwuchsbetreuer dreimal jeweils zwei Stunden in der Woche mit seinen Jungs trainiert. Doch auch er ist angetan von Breitner. „Wie der mit dem Ball umgehen kann, da können viele 25-Jährige nicht mithalten.“
ANDREAS RÜTTENAUER