Sprungbrettbohrer

Unter dem Motto „Absolute Beginner“ widmet sich das ZDF in seiner Doku-Reihe „Kleines Fernsehspiel“ dem ersten Job: „Grow or Go“ (0.10 Uhr)

von STEFFEN GRIMBERG

Neulich, beim Debriefing: „Also, ich hab ihn da mal eher mit 40 Prozent bewertet.“ – „Dann ist das ein ganz klarer Reject.“ – „Und was geben wir ihm dann mit auf den Weg für die nächsten Runden?“ – „Also, ich würde sagen, so offen, wie er ist, kommt er gut rüber, das gefällt mir. Aber an seiner Personal Effectiveness muss er noch ziemlich arbeiten, mehr angreifen.“

Der „klare Reject“ heißt Marc-Philipp, seine Bewerter bleiben anonym: Es sind die Recruitment-Partner der Unternehmensberatungsfirma Bain & Company, die den Absolventen einer Elite-Wirtschaftsuni gerade scheitern lassen: Aus der Traum vom einflussreichen Job als Unternehmensberater. Marc-Philipp landet später auf einem Platz zweiter Wahl bei einer Frankfurter Großbank. Für seine drei MitabsolventInnen Diana, Steffi und Thomas geht die Steilkarriere dafür wie geplant weiter: Nach der Elite-Uni schaffen die High Potentials den Sprung zu den ganz Großen der Beraterbranche – „Absolute Beginner“, stets begleitet vom „Kleinen Fernsehspiel“.

Was dabei herauskommt, ist das Porträt einer berufsständig organisierten Sekte im Zustand ständiger Selbstüberschätzung. Mittzwanziger beraten doppelt so alte Senior-Manager. Zweifel oder gar ein „Ich weiß nicht weiter“ kommen nicht vor. Zur Not hilft der Rückzug aufs einschlägige Instrumentarium der von allen akuten Krisen abgekoppelten Branche: Während des Booms macht man in Mergers & Acquisitions. Wenn später die Blase geplatzt ist, berät man eben die Konzentration aufs Kerngeschäft. Und wenn gar nichts mehr klappt, zur Not auch die Insolvenz.

„Es ist doch besser, wenn ich 1.000 Leute entlasse und die Firma weitermachen kann, als wenn der ganze Laden zugemacht wird“, sagt irgendwann Diana, als sie wieder einmal nach einem zwölfstündigen Arbeitstag in einem der identisch aussehenden Nobelhotelzimmer auf dem Bett sitzt. Ihr Freund ist auch Unternehmensberater, das hilft. Und wenn doch Zweifel kommen? „Letztlich müssen wir doch die Perspektive des Unternehmers einnehmen.“

Wer das nicht schafft, ist schnell weg vom Fenster, von seinem Window of Opportunity. Das sei nun mal das Gesetz der Branche, sagt die sympathische Dame: „Grow or Go.“ Die sympathische Dame heißt Sonnenschein.

Es sind diese kleinen Spitzen, die den Film ausmachen. Denn betont kritisch oder gar investigativ geht „Grow or Go“ dabei nicht vor: An alle Drehverbote und Beschränkungen habe man sich peinlichst genau gehalten, sagt Regisseur Marc Bauder. Und der „Schreibtischbefehl“, im Unternehmenssprech Clean Desk Policy, habe sowieso durchgehend Gültigkeit gehabt: „Als wir dann gedreht haben, musste sogar der Computermensch extra fürs Fernsehen einen Anzug tragen.“ T-Shirt macht offenbar unseriös. Und weil diese Haltung im Film rüberkommt, wirkt „Grow or Go“ viel subtiler – durch schleichende Selbstentlarvung.

Wirkliche Schwierigkeiten, die Beraterwelt vor die Kamera zu bekommen, hatten Bauder und sein Kameramann Börries Weiffenbach ohnehin kaum: Zu gern ließ man sich die Unternehmenszentrale von einem Grimme-Preis-Träger in kinotauglichen Bildern ablichten. Sauer ist das Team nur auf McKinsey & Company: Einem dort gelandeten fünften Absolvent untersagte die Firma, weiter am Filmprojekt teilzunehmen.

Je länger man „Grow or Go“ zuschaut, desto sympathischer wird einem in der von Beratungsfirmen wimmelnden Medienwelt ausgerechnet Mathias Döpfner. Unternehmensberater, hatte der Springer-Chef nach der endgültigen Machtübernahme im Vorstand von Europas größtem Zeitungshaus verfügt, hätten bei Springer fürderhin nichts mehr verloren.