Bereit zum Wurf

Nach langer Verletzungspause kehrt Daniel Stephan in die deutsche Nationalmannschaft zurück. Die verliert das Supercup-Finale mit 28:29

von FRANK KETTERER

Wie sehr Zeit die Dinge des Lebens zu ändern vermag, kann Daniel Stephan sogar in Schlagzeilen nachlesen. Schöne Geschichten über einen grandiosen Handballer wurden über ihn geschrieben und geschmückt mit großen Buchstaben, die sich zusammenfanden zu noch größeren Titeln. „Der Mann, der alles kann“, war Stephan damals für den Kicker, „Der Vollstrecker“ für Bravo Sport, jene Jugendpostille, die aus einem Sportler einen Popstar machen kann, der Stern sah im Welthandballer des Jahres 1998 schlichtweg den „Mann mit dem goldenen Arm“.

Gut vier Jahre ist das jetzt her, keine wirklich lange Zeit also. Und doch lange genug, um sich acht schwere Verletzungen einzuhandeln und die Dinge sich drehen zu lassen, bei Sportlern geht das ja besonders schnell. Auch das kann Daniel Stephan nachlesen, nur haben sich die Schlagzeilen verkehrt. Dort wurde Stephan zuletzt meist als „Pechvogel“, wahlweise als „der westfälische Patient“ betitelt. Stephan mag diese Umschreibungen nicht besonders, so zutreffend sie auch sein mögen. Er sagt: „Ich will die Sache nicht traumatisieren. Sportler denken immer positiv.“ Er sagt auch: „Handball ist mein Leben.“

Stephan scheint sein Handballer-Leben ganz besonders zu lieben. Anders ist es kaum denkbar, dass einer andauernd auf die Schnauze fällt – und sich doch immer wieder aufrappelt. Der Reihe nach: 1999 bricht er sich den Daumen der Wurfhand, mitten in der heißen Vorbereitungsphase zur WM, im September desselben Jahres zerfetzen die Bänder im Fuß. Die EM Anfang 2000 spielt er dennoch, danach wird festgestellt: Der Daumen der Wurfhand ist nicht richtig zusammengewachsen und muss nochmals operiert werden. Vor den Olympischen Spielen macht ihm eine Schultergelenkprellung zu schaffen, im Turnier zieht er sich einen Kapselriss samt Bänderdehnung im Sprunggelenk zu. Kaum wieder fit, erleidet er eine Knochenabsplitterung am zweimal operierten Daumen. Die WM 2001 findet ohne ihn statt, immerhin spielt er bei der EM des folgenden Jahres und wird Vizeeuropameister. Danach plagen ihn Achillessehnenprobleme, mal mehr, mal weniger, im Prinzip so lange, bis die Sehne im Februar reißt. Sein erstes Spiel bestreitet Stephan nach sechsmonatiger Pause Anfang September für den TBV Lemgo in der Bundesliga; zweieinhalb Wochen davor waren ihm Bänder samt Kapsel im Zeigefinger der Wurfhand gerissen.

Den Finger hat er immer noch dick getapet, von der erneuten Rückkehr aufs Parkett aber hat ihn das nicht abhalten können, nicht eine solche Kleinigkeit, Handball ist doch sein Leben. Und dass er es seit letzter Woche sogar wieder in der Nationalmannschaft führen darf und mit dieser ins Finale des Supercups gestürmt ist (das mit 28:29 gegen Spanien verloren wurde) zeigt nur die Ausnahmestellung, die der ehedem beste Handballspieler der Welt nach wie vor innehat, auch wenn er noch einiges entfernt ist von seinem einstigen Spielniveau. „Vielleicht fehlen 10, 15 oder 20 Prozent“, sagt Stephan, genauer kann er das nicht beziffern, man kann so etwas ja auch nur schwer in Zahlen messen.

Letztendlich ist es auch egal. Hauptsache, er, mittlerweile 30 Jahre alt, ist überhaupt wieder dabei, auch bei der Nationalmannschaft. Der Rest wird schon wieder zurückkehren, er hat es ja nicht verlernt – trotz all der Verletzungen. Es ist höchstens ein bisschen eingerostet, Stephans Spiel, noch nicht ganz so geschmeidig und dynamisch, wie es schon mal war, außerdem ist in der Zeit seiner Abwesenheit der eine oder andere Spielzug hinzugekommen, den er noch automatisieren muss, gerade beim schnellen Spiel der Deutschen ist das von immenser Wichtigkeit. „Er kommt schon wieder“, ist sich auch Heiner Brand, der Bundestrainer, sicher – und bereits beim Supercup konnte man das sehen: Dass Stephan sich von Partie zu Partie besser einfand bei seinen alten Kameraden. „Er hat seine Aufgabe voll erfüllt“, sagt Brand. Nun müsse er sehen, dass er „individuell noch ein Stückchen besser“ werde, schon damit „die Gegner wieder mehr Respekt vor ihm kriegen“.

„Wenn alles normal läuft, brauche ich noch drei, vier Spiele“, glaubt Stephan. Dass es nicht normal laufen könnte, will er erst gar nicht ins Kalkül ziehen, schließlich ist er Sportler – und die denken doch immer positiv. Also denkt er an die Europameisterschaft Anfang nächsten Jahres, vor allem an die Olympischen Spiele im Sommer in Athen. „Der große Wurf ist dran“, sagt Daniel Stephan – und natürlich geht er davon aus, dass er dabei ist, ihn vielleicht sogar selbst machen kann, das Zeug dazu hat er ja, den goldenen Arm sowieso. Auch wenn der, wie es die Süddeutsche gerade trefflich getitelt hat, immer noch „dick bandagiert“ ist.