Sozialforum zwischen Krieg und Neoliberalismus

Nach der Kahlschlagsdemonstration in Berlin ist vor dem Europäischen Sozialforum in Paris. Zum internationalen Ratschlag treffen sich die Globalisierungskritiker vom 12. bis zum 15. November. Auch die konservative französische Regierung gibt Geld für die Organisation

PARIS taz ■ Es wird ein Stelldichein für all jene, die sich irgendwie in Europa rühren – sozial, gewerkschaftlich, politisch, kulturell oder wohltäterisch. Die Organisatoren schätzen, dass sich mehrere zehntausend Teilnehmer in den Städten Bobigny, Ivry, Paris und Saint Denis versammeln. Das Ziel des Europäischen Sozialforums (ESF): die Diskussion der politischen Großwetterlage aus globalisierungskritischer Sicht. Zum Auftakt wird es eine europäische Frauenversammlung geben. Zum krönenden Abschluss eine gemeinsame Demonstration durch Paris.

Beschlossen wurde das Europäische Sozialforum einst beim Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre. Statt ausschließlich bei weltweiten Mega-Treffen wollten die Globalisierungskritiker sich auch auf einer kleineren Ebene treffen. Und über die spezifischen Belange einer Region beraten. In Europa begann dieser Prozess im vergangenen Jahr im italienischen Florenz. Das Treffen vom 12. bis zum 15. November auf der Île de France ist das zweite Kapitel. Im nächsten Jahr soll die Serie in Barcelona fortgesetzt werden. Inhaltlich wird das ESF entlang fünf großer thematischer Achsen verlaufen, die sämtlich einen Europa-Bezug haben: Krieg, Neoliberalismus, Profitlogik, Vermarktungslogik und Rechtsextremismus.

Die Verhandlungen im Organisationskomitee sind ein schwieriger Balanceakt. Denn hinter dem Organisationskomitee stehen 1.500 Organisationen aus 60 Ländern mit vielfach divergierenden Interessen. Noch in den letzten Tagen führte dieser Balanceakt zu mehreren öffentlich ausgetragenen Kontroversen. So verbreitete Tarek Ramadan, ein von muslimischen Klerikern viel gefragter Intellektueller aus Genf, der auch am ESF teilnehmen wird, ein vieldeutiges Schreiben auf den Mail-Listen des ESF. Darin betreibt der Autor Gleichsetzungen zwischen Irakkriegsbefürwortern und „jüdischen Intellektuellen“. Parallel dazu sorgt die sozialdemokratische „SOS-Racisme“ für etwas Wirbel. Die Gruppe, die zuerst an den Vorbereitungen zum ESF beteiligt war, hat sich im letzten Moment zurückgezogen und unterstellt jetzt den Veranstaltern – zu denen auch Organisationen gehören, die die israelische Besatzungpolitik kritisieren – eine „gefährliche Route“ – womit die angebliche Nähe des ESF zu Antisemitismus gemeint ist.

Eine besonders große Herausforderung ist die Logistik. An die 30.000 Menschen werden erwartet. Mindestens zwei Drittel davon sollen gratis in Turnhallen und anderen öffentlichen Einrichtungen der Île de France beherbergt werden. Alle müssen bekocht werden. Und alle müssen zwischen den Veranstaltungsorten in den vier Städten – Bobigny, Ivry, Paris und Saint Denis – hin und her transportiert werden. Tausende ehrenamtlicher Köche, Wegweiser und Betreuer sollen sich um sie kümmern. Für die Verständigung will die Gruppe „Babels“ insgesamt 1.000 ÜbersetzerInnen aufbieten (Interessenten siehe: www.babels.org).

Finanziert wird das Mega-Ereignis zu einem beträchlichen Teil aus öffentlichen Geldern. Insgesamt beträgt das Budget 3,4 Millionen Euro. Davon kommt ein Teil aus den Kassen der linken Stadtverwaltungen von Bobigny, Ivry, Paris und Saint Denis. Die rechte französische Regierung steuert eine halbe Million Euro bei. Die Region Île de France allerdings, von der ursprünglich 300.000 Euro erwartet wurden, hat sich zurückgezogen. Nachdem die 36 rechtsextremen Abgeordneten in der Region eine Kampagne gegen das – angeblich linksradikale – Europäische Sozialforum begonnen hatten, verweigerten auch die politischen FreundInnen von Chirac in der Region ihre Unterstützung. DOROTHEA HAHN

www.fse-esf.org