Das Grundgesetz ist für Rasterfahndung ungeeignet

Das ständige Label „verfassungsfeindlich“ im Umgang mit Islamisten ist kontraproduktiv, lassen sich Verfassungsschützer von Orientalisten belehren. Es erschwere das Geschäft der Reformer in den muslimischen Gemeinden, sagen die Islamwissenschaftler und ziehen Parallelen zur PDS

BERLIN taz ■ Islamismus, wie sieht das aus, und kann man das dulden? Wie schwer es dem deutschen Staat fällt, mit den radikalen und politischen Formen des Islam umzugehen, war vergangenen Woche an den Vorgängen rings um die König-Fahd-Akademie in Bonn abzulesen. Hier hatte sich der Kölner Regierungspräsident Jürgen Roters nach Kräften blamiert, weil er von der angekündigten Schließung der saudischen Diplomatenkinderschule wieder Abstand nehmen musste. Der Bundesregierung war aufgefallen, dass der Unterricht an deutschen Schulen in Saudi-Arabien auch nicht dortigen Verfassungsmaßstäben entspricht.

Ob die Verfassung der Maßstab sein kann, an dem sich der Umgang der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft mit Islamisten ausrichten muss, versuchte Ende vergangener Woche ein Tagung in Berlin zu klären. Geladen hatte der Berliner Verfassungsschutz, dafür gelobt vom Anthropologen Werner Schiffauer aus Frankfurt (Oder): „Gut, dass Polizei und Wissenschaft jetzt auch miteinander kommunizieren“ – eine kleiner Hinweis darauf, dass es zum staatlichen Verständnis des Islamismus eventuell nicht ausreicht, wenn 16 Landesverfassungsschutzämter je einen Orientalisten anstellen.

Schiffauer warb heftig dafür, den Islamismus etwa der türkischen Milli-Görüs-Gemeinde in Deutschland nicht zu skandalisieren, sondern als amorphen kulturellen Ausdruck eines religiösen Konservativismus zu betrachten. Der Verfassungsschutz, der sich dieser „Veranstaltungsgemeinde“ mit seinen Grundgesetzrastern nähere, sei „in manchem kontraproduktiv“. Wer Milli Görüs ein fach mit dem Label „Verfassungsfeinde“ versehe, erschwere das Geschäft der Reformer in der Gemeinde und bestärke die Hardliner in ihrer paranoiden Position, dass die deutsche Gesellschaft die gläubigen Muslime ohnehin „nur ausgrenzen und verfolgen“ wolle.

Schiffauer schlug vor, die muslimischen Organisationen zu betrachten wie etwa die jüdische Gemeinde in den USA: fraktioniert in Liberale, Orthodoxe und Ultraorthodoxe, beschäftigt mit einem dauerhaften Reformkampf. Der Nachwuchs bemühe sich, die Alten zu ihrem Recht kommen zu lassen und gleichzeitig die Gemeinde an die Erfordernisse der Mehrheitsgesellschaft zu gewöhnen – „ähnlich wie heute die PDS oder die Grünen Anfang der Achtzigerjahre“.

Nur weil die muslimischen Organisationen in Deutschland die gleichen Probleme haben wie alle oppositionellen Gruppen oder Sekten, muss man sie noch lange nicht von jeder Kritik entbinden, fand dagegen Johannes Kandel von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er hegte „Zweifel an der Integrationsbereitschaft“, die von den muslimischen Organisationen ständig beschworen werde. Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGM) etwa gebe nur vor, den viel bemühten „interreligiösen Dialog“ zu wollen. In Wirklichkeit betreibe sie Lobbyismus und Missionierung. Die Organisierten, sagte Kandel, „verfolgen das Prinzip der doppelten Öffentlichkeit: Auf dem Podium findet das Bekenntnis zur Toleranz statt, aber das findet keine Entsprechung bei der innermuslimischen Kommunikation.“

So wenig wie Schiffauer maß Kandel das Verhalten der „Organisierten“ am Buchstaben des Grundgesetzes. Kandel wählte jedoch nicht den ethnologischen Blick, sondern den zivilgesellschaftlichen Anspruch, und erklärte: „Das Verharren in der Opfer- und Anklägerpose nach dem 11. September hat eine echte Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Religion und Terror verhindert.“

Harte Worte, bestätigt jedoch von der Öffentlichkeitspolitik der muslimischen Organisationen nach dem Streit um die König-Fahd-Akademie vergangene Woche. Es fand sich kaum ein Sprecher, der sich mit Kritik an der Schule zu Wort meldete. Der Druck der deutschen Mehrheit auf die muslimische Gemeinschaft, so hieß es, sei zu groß, als dass man offen darüber diskutieren wolle, ob der saudische Wahhabismus als extreme Form des Islam nicht auch militante Strömungen begünstige.

Die Muslime tragen ihre theologischen Streitereien unter sich aus, die deutsche Gesellschaft steht ratlos bis ignorant außen vor: Dies entspricht dem Stand vor dem 11. September 2001.

ULRIKE WINKELMANN