: Der Imam gibt Rückendeckung
In Katernberg hat sich eine ungewöhnliche Partnerschaft bei der Jugendsozialarbeit entwickelt. Islamische Vorbeter und Polizei greifen gemeinsam ein
aus Essen LALE KONUK
Im Wohnzimmer der libanesischen Moschee „Salahadin“ in Essener Stadtteil Katernberg. Eine Couchgarnitur beherrscht den Raum, angeordnet um einen gekachelten Tisch. Daran sitzen ein Polizist und ein Imam, trinken Tee und unterhalten sich mit Hilfe eines arabischen Dolmetschers freundlich. Es ist nicht ihr erstes Treffen.
Thema des Gesprächs zwischen dem schnurrbärtigen Hauptkommissar Herbert Czarnyan und dem Mann in der religiösen Tracht, dem Imam El Zein, ist heute das Waffengesetz. Während des Ramadan wollen sie die Familien und Jugendliche über das neue Verbot von Butterflymessern aufklären. Außerdem wünscht Czarnyan auch nachdrückliche Worte des Vorbeters an die Gemeinde. Der stimmt zu. Ob bei Konflikten mit deutschen Nachbarn, kriminellen Delikten von Jugendlichen oder bei Gewalt an Schulen, seit fünf Jahren hilft El Zein, wenn der Hauptkommissar um Hilfe bittet. Auch als die Kriminalität an einer Hauptschule mit überwiegend libanesischen Schülern vor zwei Jahren extrem anstieg. Die Polizei organisierte gemeinsam mit dem Imam eine Schulveranstaltung. Der Auftritt vor Eltern und Schülern hatte Wirkung; die Kriminalitätsrate der jugendlichen Intensivtäter sank daraufhin „auf null“, sagt Czarnyan und begründet, warum: „Wenn man bei den Jugendlichen andeutet: Wir waren doch bei euch zu Hause und haben doch mit deinem Vater gesprochen, der Imam war mit dabei – da merkt man, welchen Respekt er genießt.“
Und das, obwohl nur wenige Muslime der libanesischen Gemeinde regelmäßig in die Moschee gehen. Auch Omar ist selten dort, dennoch fühlt sich der Achtzehnjährige von dem Imam angesprochen: „Er sagt den Jugendlichen, wie man mit den Menschen umgehen soll und welchen Weg man gehen soll. Man lernt viel bei ihm.“ Und auch Czarnyan ist für Omar wichtig. Omar braucht ein polizeiliches Führungszeugnis, um sich für eine Ausbildungsstelle zu bewerben, und der Hauptkommissar ist zugleich Jugendkontaktbeauftragter und damit Ansprechpartner der Jugendlichen.
Die jungen Libanesen haben jedoch kaum eine Chance auf Integration. Ihre Community in Katernberg ist nach der Berliner die zweitgrößte Deutschlands. Die meisten der 5.000 Libanesen sind Mitte der 80er-Jahre vor dem Bürgerkrieg geflohen, rund die Hälfte lebt noch heute ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Seit 15 Jahren sind sie von Abschiebung bedroht, ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz und ohne andere Perspektive. Das führt in dem Stadtteil, in dem über 25 Prozent Migranten und in manchen Straßen über 50 Prozent Sozialhilfeempfänger leben, zu Frust und Gewalt, was auch in der Kriminalitätsstatistik auffällt. Rund ein Drittel der libanesischen Jugendlichen gerät mit dem Gesetz in Konflikt.
„Manch einer träumt davon, eine Ausbildung zu machen. Aber von Rechts wegen dürfen die Jugendlichen diesen Weg nicht gehen, und dann fehlen uns letztendlich auch die Argumente“, sagt Czarnyan. Doch er und El Zein agieren inzwischen nicht mehr allein. Im Jugendhilfe-Netzwerk Essen-Katernberg können sie auf die Hilfe von über 100 Personen und Institutionen setzen: Mitarbeiter des Jugendamtes, Kindergärten, Jugendzentren, Ausbildungbetriebe und Sportvereine, auch andere Imame und vor allem die Arbeiterwohlfahrt. Deren Mitarbeiter Thomas Rüth ist Leiter des Netzwerks.
Er plädiert bei Gewaltsituationen für sofortiges Durchgreifen der zuständigen Stellen: „Die Jugendlichen begreifen dadurch, dass es keinen rechtsfreien Raum gibt. Und durch die Kooperation mit den Imamen und der Kripo können wir ihnen schnell auf die Füße treten.“ Im Idealfall, erzählt Rüth, komme ein Anruf von der Schule und eine Stunde später erscheine das Netzwerk „mit versammelter Mannschaft“ auf dem Schulhof. „Das ist etwas, was Jugendliche anfassen können.“ Rüth betont, dass die Zusammenarbeit von Sozialarbeitern und Polizisten ebenso ungewöhnlich sei wie die mit den Imamen. Zwischen den drei Gruppen gebe es aber nach wie vor viele Berührungsängste.
Die Zusammenarbeit mit den Vorbetern hat in der Bundesrepublik Vorbildcharakter. Das Deutsche Jugendinstitut zählte das Katernberger Projekt 2003 zu den besten Jugendnetzwerkprojekten in sozialen Brennpunkten. Bundespräsident Johannes Rau zeichnete es im vergangenen Jahr im Wettbewerb „Integration von Zuwanderern“ aus.
Sogar Halit Pismek, der junge türkische Vorbeter der Ayasofya-Moschee, ist inzwischen Mitglied des Netzwerks. Früher gab es starke Bedenken gegen ihn, denn seine Moschee gehörte dem von Verfassungsschützern als radikal-islamistisch eingestuften Dachverband Milli Görüs an. Doch ihn deswegen auszugrenzen erschien Thomas Rüth zu hart: „Integration ist ein sehr komplizierter, schwer zu steuernder Prozess. Indem wir sagen, mit solchen Institutionen wollen wir nichts zu tun haben, drängen wir die Menschen in solche Einrichtungen.“ Er hat vielmehr Hoffnung, dass es über den kritischen Dialog zu einer Öffnung und Veränderung kommen wird.
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