„Das wird ein Brennpunkt“

„Gesundheitsschädlich und unsozial“ – Walter Schulz vom „Zug um Zug e.V.“ kritisiert die Planung der „autofreien Siedlung“ auf dem ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerk in Köln-Nippes

Interview Thomas Spolert

Das Gelände des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes (EAW) in Nippes wird zum Wohnviertel. Auf seiner letzten Sitzung vor der Kommunalwahl machte der Kölner Stadtrat den Weg für die Bebauung des EAW frei. Das rund 32 Hektar große Grundstück liegt zwischen Parkgürtel, Kempener Straße, Werkstattstraße und der Eisenbahntrasse Köln-Krefeld. 785 Wohnungen im Geschosswohnungsbau, 215 Einfamilienhäuser und ein Bürgerpark sollen das Areal der früheren Bahnanlage zu neuem Leben erwecken. Geplant sind auch sind Spielplätze, eine Kindertagesstätte und Ladenlokale.

Doch längst nicht alle Nippeser sind von dem Projekt begeistert. Die im alten Worringer Bahnhof auf dem EAW-Gelände angesiedelte Initiative Zug um Zug e.V., die sich um die berufliche und soziale Integration von Arbeitslosen kümmert, übt Kritik. Walter Schulz, geschäftsführender Vorstand des Vereins, befürchtet Gefahren für die Gesundheit der künftigen Bewohner des Viertels und die Entstehung eines sozialen Brennpunktes.

taz: Herr Schulz, im Anhang zu den Bebauungsplänen für das ehemalige EAW Nippes heißt es, dass „im neuen Baugebiet insgesamt noch gesunde Wohnverhältnisse erreicht werden können“. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Walter Schulz: Das ist eine verblüffende Aussage. Schließlich bedeutet das doch, dass gesundheitlich unschädliches Wohnen nicht in allen Teilen möglich ist. Das Gelände liegt direkt an der Bahntrasse, auf der durch den Rangierverkehr eine hohe Lärmbelästigung herrscht. Entlang dieser Trasse will man nun einen Riegel mit etwa 785 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau errichten, der als Lärmschutz für den Rest des Geländes dienen soll. Man weiß also, dass dort gesundheitsunschädliches Wohnen aufgrund der Lärmbelastung nicht möglich sein wird.

Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?

Erstens ist es zynisch. Auf Kosten der Schwächeren auf dem Wohnungsmarkt wird Lärmschutz für die Stärkeren geschaffen. Zweitens ist es unter städtebaulichen Gesichtspunkten absolut verantwortungslos. Und zum Dritten wird es Konflikte schaffen: Irgendwann werden die Menschen in den Sozialwohnungen merken, dass sie benachteiligt sind. Es wird zur üblichen Fluktuation kommen. Die anderen, die keine Möglichkeit haben, woanders hinzuziehen, werden dort bleiben. Die ganze Substanz wird darunter leiden. Das wird ein sozialer Brennpunkt werden.

Welche alternativen Bebauungs- oder Nutzungsmöglichkeiten für den geplanten Gebäuderiegel sehen Sie?

Es war hier eine Gewerbenutzung vorgesehen. Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Herr Klipper, hat uns vor Jahren gesagt, an diesen Bahndamm gehöre Gewerbe, weil Gewerbe lärmverträglich ist. Man hat diese Alternative gehabt. Hier gab‘s ja eine Gewerbebebauung, eine große Halle. Man hat die nicht etwa eingerissen, weil man bessere städtebauliche Konzepte hatte, sondern weil die Verwertbarkeit nicht so gut ist.

Gibt es noch andere Probleme auf dem Gelände?

Dieses Gelände ist hochgradig belastet, und zwar mit den unterschiedlichsten Umweltstoffen, industriellen Rücklagen und Schlacken aus früherer Stahlproduktion. Außerdem sind PCB-Rückstände im Boden. Darüber hat es auch Untersuchungen gegeben, die dazu geführt haben, dass man etwa Anfang der 90er Jahre von der Unmöglichkeit der Wohnbebauung sprach. Aber im Laufe der Zeit hat die Bodenbelastung von Untersuchung zu Untersuchung abgenommen.

Wenn dies so ist, hätte man das ja dokumentieren können. Die Tatsache aber, dass bis heute keinerlei Offenlegung von Gutachten erfolgt ist, lässt daran zweifeln. Deswegen befürchten wir, dass es hier Teile gibt, in denen es durch Ausgasungen aus belastetem Boden gesundheitliche Beeinträchtigungen gibt, die einfach hingenommen werden.

Auf einem Teil des Geländes entsteht Kölns erste autofreie Siedlung. Sie aber befürchten einen Verkehrkollaps. Wieso?

Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die autofreie Siedlung wird im südlichen Teil des Geländes entstehen. Die Nutzer dieses Teils werden das Gelände weniger belasten. Der Rest des Geländes kann aber heute nur über einen einzigen Weg erschlossen werden: die Kempener Straße. Die Kempener Straße ist verkehrsmäßig eine der am stärksten belasteten Straßen Kölns. Durch die Erschließung des Geländes, die ja notwendig ist, wenn man hier fast tausend Wohnungen hinbaut, nimmt diese Belastung noch zu.

Die Stadt behauptet, dass dieser Verkehr durch einen Ausbau des Gürtels in Zukunft entsorgt oder zumindest reduziert werde. Und die entstehenden Parkraumprobleme würden durch den Bau einer Tiefgarage auf der Kempener Straße gemildert. Aber weder der Gürtel noch die Tiefgarage sind absehbar. Der Gürtel wird in den nächsten 15 Jahren wohl nicht gebaut werden. Für die Tiefgarage gibt‘s überhaupt keinen Investor. Man schreibt sie aber in einen Bebauungsplan rein.

Wie bewerten Sie die Bürgerbeteiligung an diesem Projekt?

Die ist eine Farce, weil sie zu Plänen stattgefunden hat, die sich von den heutigen fundamental unterscheiden. Im ganzen Planungsprozess sind die Pläne immer wieder auf Drängen des Investors geändert worden. An diesen weiteren Schritten sind die Bürger nie mehr beteiligt worden. Es hat zwar noch mal eine Offenlegung der neuen Pläne gegeben. Aber da ist kein einziger Einwand von Bürgern je berücksichtigt worden. Das heißt, die Öffentlichkeit ist im Zuge des Bebauungsplanverfahrens in die Irre geführt worden.