berliner szenen Bezahlen für Gott

Beim Promisortimenter

Es ist Sonntag, und ich würde gerne in eine Kirche gehen. Am Dom steht eine dicke Frau im Kostüm und verlangt 5 Euro Eintritt. „Seit wann denn das?“, frage ich. „Seit 1996 schon“, sagt sie. Dann muss es wohl 1994 gewesen sein, dass ich zuletzt da war. Mit meinem Vater. Bezahlen für Gott, das geht nicht, geht gar nicht, ist wie bezahlen für Sex.

Vor der Humboldt-Universität habe ich schnelles Glück und gewinne 50 Euro beim Hütchenspieler. Prima. Also einkaufen, zu viel Geld in der Tasche macht ja nervös. Ich laufe zu Edeka an der Friedrichstraße, dem einzigen Lebensmittelladen in Laufnähe, der auch sonntags geöffnet hat. Wird auch Promi-Vollsortimenter genannt, weil da so aus Funk und Fernsehen bekannte Personen wie Hans Eichel, Joop oder auch Trittin und Rudolf Scharping gesehen wurden. Schreiben zumindest die glamourösen Drei, Zitty, Tip und Prinz. Mindestens einmal im halben Jahr taugt das als große Titelgeschichte. „Wo sich die Szene trifft“. Welche Szene denn? Mitte-Posse oder was? Macht auch nicht schlauer.

Ausnahmsweise keine lange Schlange vorm Eingang, sonst aber gewohntes Bild. Die Frauen an der Kasse reiben sich die Schläfen, während der Kunde seinen EC-Karten-PIN eingibt, ein Punk schreit: „Süße, ick lieb dich, bring Rasierklingen mit.“ Klopapier und Sahnetreibgas laufen auch sehr gut.

Vor mir stehen zwei als Baader und Ensslin Verkleidete. Riesige Sonnengläser im Gesicht, Hans telefoniert mit dem Handy, die Hand lässig im Schritt, Grete fuchtelt mit einer Knarre aus der Gemüseabteilung und hat schon graue Strähnen. Irgendwer ist hier falsch abgebogen. Edeka? Die RAF? Der Tip? Ich? Vielleicht liegt es einfach daran, dass der Dom 5 Euro Eintritt kostet.

HENNING KOBER