Vom Labour-Schaustück zur Schlafstatt

Das einstige Vorzeigeprojekt, Londons Millennium Dome, mutiert kurzfristig zur Herberge für Forumteilnehmer

Vom Flaggschiff der Labour Party zur größten Jugendherberge der Welt: Londons „Millennium Dome“ hat einen rasanten Abstieg genommen. Dabei sollte die Kuppel im Ostlondoner Stadtteil Greenwich ein „Schaustück für New Labours Vision von Britannien im nächsten Jahrtausend“ sein, so hatte der britische Premierminister Tony Blair großspurig erklärt, als er das Projekt 1997 von den Tories erbte.

Nun übernachteten dort am Wochenende 5.000 Teilnehmer des Europäischen Sozialforums. Bevor sie ihre Schlafsäcke ausrollen durften, mussten sie zehn Pfund Übernachtungsgebühr zahlen – ein Schnäppchen in Anbetracht der Londoner Preise. „Ich habe den Dome stets für eins der schönsten Gebäude Londons gehalten“, sagte Bürgermeister Ken Livingstone, „und ich wusste, dass er eines Tages nützlich sein würde.“

Es ist das erste Mal, dass die Teflonkuppel nützlich ist. Als die Queen das Megazelt zehn Minuten vor der Jahrtausendwende offiziell eröffnete, worauf ein Chor „A New Beginning“ sang, war das Projekt bereits am Ende. Ursprünglich sollte der Bau mit 399 Millionen Pfund aus Lotteriegeldern bezuschusst werden, fast genauso viel gab die Privatwirtschaft hinzu. Doch in den zwölf Monaten vor seiner Eröffnung musste der Staat immer wieder einspringen, um den Bankrott abzuwenden. Insgesamt flossen aus den Lotterieeinnahmen 628 Millionen Pfund in die Kuppel der Superlative.

Nach der Jahrtausendfeier in Greenwich, durch das der Nullmeridian verläuft, wurde die Kuppel der Öffentlichkeit übergeben. Was ihr geboten wurde, war ernüchternd. Der Dome wurde in 14 Zonen aufgeteilt, die bestimmten Themen gewidmet waren, wie Arbeit und Lernen, Geld und Kommunikation, Umwelt und der menschliche Körper. Selbst die „Body Zone“ war banal: Ein überdimensionales schlagendes Herz, Zeichentrickspermien, die auf die Wand projiziert waren, und ein Plastikhirn mit Doktorhut, das sechs anderen Plastikhirnen Witze erzählte.

Finanziell wäre die Rechnung nur aufgegangen, wenn zwölf Millionen Besucher bereit gewesen wären, 20 Pfund Eintritt hinzublättern. Ende 2000 waren es gerade mal vier Millionen. Danach wurde die Kuppel eingemottet. An Vorschlägen für seine Nutzung mangelte es seitdem nicht – von einem tropischen Aquarium mit Titanic-Museum über einen organischen Park zur Förderung des Umweltbewusstseins bis zu einem gigantischen Shopping-Centre.

Die einen wollten eine virtuelle Welt mit „Dörfern der Nationen“, die anderen ein Sportzentrum, damit London zur Weltsporthauptstadt würde und bessere Chancen bei der Bewerbung für die Olympischen Spiele hat.

Nun ist es also eine Jugendherberge geworden, wenn auch nur vorübergehend. Die prominenten Redner auf dem Europäischen Sozialforum wie Livingstone, der nordirische Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und Che Guevaras Tochter Aleida, sind dann doch lieber im Ritz abgestiegen. RALF SOTSCHECK