BEI OPEL UND DER ARBEITSAGENTUR WIRD NORMALITÄT ZUM SKANDAL
: Verschobene Erregungszustände

Zwei Nachrichten stießen an diesem Wochenende aufeinander, die eigenartig beleuchten, was in Deutschland als Skandal gilt. Zum einen streikten die Bochumer Opelaner weiter, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Zum anderen rügte der Bundesrechnungshof die Bundesagentur für Arbeit, weil deren Vermittlungsleistungen noch immer marginal sind. Bei nur 4,6 Prozent soll die Erfolgsquote liegen; die Arbeitsmarktreformen Hartz I bis III scheinen wirkungslos zu bleiben.

Die Empörung ist in beiden Fällen nahe liegend – und trifft doch daneben. Beispiel Bundesagentur: Bestimmt lässt sich eine Mammutbehörde besser organisieren. Doch alle Verwaltungsreformen werden die Vermittlungserfolge nicht wesentlich erhöhen, denn es gibt einfach keine Stellen. Bei hoher Arbeitslosigkeit ist es normal, dass die Bundesagentur nur selten vermittelt. Aber genau diese Normalität wird zum Skandal aufgebauscht.

Auch bei Opel passiert nichts Überraschendes. Das Management hat Fehler gemacht, das kostet Umsatz und Stellen. Die Konkurrenz hingegen profitiert, was die Arbeitsplätze dort sicherer macht. Pleiten gehören eben zum Geschäft einer jeden Branche. Opel ist in der Krise, nicht die deutsche Automobilindustrie. Die konnte im August ein Umsatzplus von 17 Prozent melden. Dennoch wird der Standort Deutschland in Gefahr gesehen, wird Normalität zur nationalen Frage stilisiert.

Der Wirtschaftsalltag kann nur zum Skandal gerinnen, weil der Glaube unerschüttert ist, in Deutschland könnte eigentlich Vollbeschäftigung herrschen. In dieser Welt des schönen Scheins lassen sich fehlende Stellen nur durch Sündenböcke erklären. Irgendjemand muss versagt haben – sei es das Opel-Management oder die Bundesagentur.

Diese Verschiebung von Erregungszuständen ist nicht folgenlos. So wie die Normalität zum Skandal aufsteigt, so wird umgekehrt ein Skandal normal: Bei faktisch etwa sieben Millionen Arbeitslosen gilt es inzwischen als selbstverständlich, dass sie selbst schuld sind, wenn sie keine Jobs finden. Daher sei ihnen alles zuzumuten. Schließlich herrscht doch Vollbeschäftigung.

Die Opelaner streiken nicht nur so verzweifelt, weil die meisten keinen neuen Job fänden. Es geht auch um Würde. Sie wollen dokumentieren, dass sie nicht verantwortlich sind, falls sie arbeitslos werden. Doch dieser Kampf ist aussichtslos. Nach einer kurzen Schonfrist werden auch sie als Versager gelten, die für ein Arbeitslosengeld II dankbar sein müssen. Gegen die geglaubte Vollbeschäftigung haben sie keine Chance – das ist der eigentliche Skandal. ULRIKE HERRMANN