Zwischen Ehrgeiz und Demut

Wichtigste Christenpflicht auf einer EKD-Synode mit Vorsitzendenwahl: Salbe deine Worte und mach gute Miene, wenn das Spiel ein bisschen böse wird

Auf offener Bühne zu sehen: Leute, die vor Ehrgeiz kochen, es sich aber nicht anmerken lassen dürfen

aus Trier PHILIPP GESSLER

Wie halte ich eine Wahlkampfrede, ohne eine Wahlkampfrede zu halten? Die 21 Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tun sich am Sonntagabend sichtlich schwer mit diesem protestantischen Balanceakt. Denn natürlich will jeder und jede der „Brüder und Schwestern“, so der hiesige Sprachgebrauch, in dieses höchste Führungsgremium der evangelischen Kirchen der Bundesrepublik, also dorthin, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen.

Aber wenn die oft weißhaarigen Damen und Herren vor das Kirchenparlament in Trier treten, um sich vorzustellen – nicht mehr als fünf Minuten bitte! –, dann stockt vielen dieser normalerweise recht wortgewandten Christenmenschen der Atem: Denn es wäre ja ziemlich unchristlich und wenig demutsvoll, wenn man klar sagte: „Wählt mich, ich bin der Beste.“

Alle sechs Jahre tritt dieses Problem des elenden Spagats zwischen Ehrgeiz und Demut in der EKD-Synode auf. Denn alle sechs Jahre wählt das bundesdeutsche Kirchenparlament, also 120 entsandte Synodale und 24 Vertreter der Kirchenkonferenz, die den Rat berät, einen 15-köpfigen Rat, aus dessen Mitte dann der oder die Ratsvorsitzende bestimmt wird, der höchste Repräsentant des Protestantismus im Lande Luthers. Ihn oder sie zu finden, ist in der Regel kompliziert.

Das liegt nicht zuletzt an der hier gepflegten Sprache. Denn wie bei den Wahlkampfreden, die eigentlich keine sein dürfen, üben sich die Synodalen in einem protestantischen Code, der das Eigentliche am liebsten umschreibt. Wenn es etwa heißt, man wolle den gerade Sprechenden doch „herzlich bitten“, seine Rede zu verkürzen, dann ist das im Synodenjargon bereits eine fast ruppige Anordnung. „Wenig hilfreich“ ist das schlimmste Attribut, das einen Beitrag treffen kann, der einfach unter aller Kanone ist. Und „ratlos“ ist man, wenn man in Wirklichkeit sehr wohl weiß, was man von einer Sache hält, nämlich nichts, aber es so nicht sagen will. Ach, es ist ein Kreuz mit der Sprache in einer Kirche, die sich auf den wortgewaltigen Dr. Luther aus Wittenberg gründet, der dem Volk „aufs Maul“ schaute.

Das „Schwerpunktthema“ der Synodentagung heißt „Bibel im kulturellen Gedächtnis“, ein Haushalt muss verabschiedet werden – und bei beidem gibt es natürlich viel zu besprechen. Was aber eigentlich Kopf und Herz bewegt, sind natürlich die Wahlen zum Rat und zum/zur Vorsitzenden dieses Rates. Deshalb ist die Sache spannend, deshalb kann sie auch richtig brutal werden: Schließlich darf man – wie beim Konklave zur Papstwahl – nicht zeigen, dass man will. Das wäre unschicklich. Schließlich werden die Letzten die Ersten sein. Was aber in der Sixtinischen Kapelle hinter verschlossenen Türen stattfindet, ist hier auf offener Bühne zu sehen: Leute, die vor Ehrgeiz kochen, es sich aber nicht anmerken lassen dürfen. Gute Miene zum bösen Spiel machen, das ist hier oberste Christenpflicht. Dazu noch in diesem höflich-traditionellen Ton, der es erfordert, den Bischof von Berlin-Brandenburg, den Professor Wolfgang Huber, kumpelhaft mit „Bruder Huber“ oder die forsche Landesbischöfin der hannoverschen Landeskirche, Margot Käßmann, harmlos mit „Schwester Käßmann“ anzusprechen.

Womit zwei der vier KandidatInnen genannt sind, die wohl das Rennen um den Ratsvorsitz bestreiten – wenn nicht noch ein Kompromisskandidat wie Kai aus der Kiste springt. Wie vor sechs Jahren, als der jetzt scheidende Ratsvorsitzende Manfred Kock Chef wurde, ein netter Mann, den aber niemand zuvor auf der Liste hatte. Huber unterlag damals knapp, und bis heute hat er nicht dementiert, dass ihm danach vor lauter Anspannung die Tränen kamen.

Diese Angespanntheit dürfte auch dieses Mal ein Teil seines Problems sein. Selbst wenn der intellektuell oft brillante Huber (61) im persönlichen Gespräch keineswegs so steif daherkommt: Seine Kandidatenrede vor den Synodalen hat wieder etwas leicht Verkrampftes, selbst dann noch, als er von seiner Frau und seinen drei Kindern spricht.

Überhaupt die Familie! Es gehört zum guten Ton bei fast allen Reden, anzudeuten, wie wichtig einem Familie sei. Auch Margot Käßmann (45) tut es, immerhin hat sie vier Kinder, und muss sich immer wieder dafür rechtfertigen, dass sie Bischofsamt und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen in der Lage ist. Die Rede der Bischöfin zündet, denn sie macht das Beste aus der unmöglichen Situation, sie macht Witzchen („Ich bin die Nummer 9 auf Ihrer Hitliste“). Die Bischöfin spricht das Herz an, der Bischof den Kopf – und wer wird in solchen Situationen gewählt? Erraten.

Ziemlich sicher herausgekickt hat sich mit seiner Rede nach Einschätzung vieler Beobachter in den Gängen der Synode ein zuvor als zweiter heißer Kandidat gehandelter Mann: der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich (55). Er gilt als liberaler Mann, nicht ganz so links, wie Margot Käßmann heute ist und Huber früher war. Sein Vortrag wirkte (trotz Verweis auf seine Familie, natürlich) ein wenig arrogant, nicht zuletzt wegen seiner Anmerkung, neulich habe er bei der Premiere des neuen „Luther“-Films in München neben Sir Peter Ustinov und Uwe Ochsenknecht gesessen.

Gut an kommt dagegen die Rede des Jokers im Kandidatenspiel: des Thüringer Landesbischofs Christoph Kähler (59). Mucksmäuschenstill ist es im Saal, als er von seinen Erfahrungen im säkularisierten Ostdeutschland berichtet. Er könnte ein Kompromisskandidat sein, der auch den konservativen Synodalen zu verkaufen wäre, wenn sich Margot Käßmann und Huber gegenseitig blockieren.

Heute werden die 14 Mitglieder des Rates gewählt, das 15. Mitglied ist qua Amt die Präses der Synode Barbara Rinke. Wer schon beim ersten Wahlgang direkt in den Rat kommt und die meisten Stimmen erhält, hat gute Chancen, dann auch Ratsvorsitzender zu werden. Doch erst wenn der ganze Rat gewählt ist, und das kann bis morgen dauern, naht die eigentliche Entscheidung.

Dann nämlich bestimmen die 15 Ratsmitglieder in geschlossener Sitzung einen, den sie der Synode als Ratsvorsitzenden vorschlagen. Erhält diese Person zwei Drittel der Plenumsstimmen, ist er oder sie gewählt. Das Konklave der deutschen Protestanten ist also die konstituierende Sitzung des Rates, von dort wird der weiße Rauch aufsteigen, bildlich gesprochen, so sinnlich sind Protestanten schließlich nicht.

Wer es wird? Margot Käßmann hat, zwei Tage nach Beginn der Synode, die besten Karten. Sie hat nur ein Problem. Auf die Frage, was ein Ratsvorsitzender mitbringen müsse, antwortete Manfred Kock vor der Synode: „Er darf es gar nicht werden wollen.“ Margot Käßmann aber will.