Der Klima-Erforscher

Lutz Hübner ist der meistgespielte zeitgenössische Theaterautor Deutschlands. Fast zeitgleich kamen am Staatstheater Braunschweig und am Schauspiel Hannover seine zwei neuesten Stücke „Der Maschinist“ und „Hotel Paraiso“ zur Uraufführung. In beiden Fällen charakteristisch: der soziologische Blick

von Kerstin Fritzsche

Kurz vor der Uraufführung von „Der Maschinist“ (Regie: Thomas Goritzki) in Braunschweig: Autor Lutz Hübner wird sichtlich nervöser, hält Tabak und Kaffee in Reichweite. Gleich muss er sich einen Platz suchen, von dem aus er die Aufführung mithören kann. Ansehen tut er sich Premieren seiner Stücke nämlich nie. Alter Selbstschutzmechanismus. Dabei müsste Hübner mittlerweile routiniert sein: 22 Stücke hat er seit 1993 geschrieben, die inzwischen alle inszeniert wurden. Durchschnittlich schreibt er zwei pro Jahr und findet das ganz normal, weil er immer an mehreren Stoffen parallel arbeitet. Um dann nachzuschieben: „Naja, ich bin manchmal selber erstaunt, wie viel Zeilen ich so raushau‘.“

„Der Maschinist“ aber ist eine Ausnahme. Acht Jahre hat es gedauert, bis das Stück nun zur Uraufführung gelangte: Es galt lange Zeit als unspielbar. Tatsächlich droht „Der Maschinist“ die technischen und personalen Möglichkeiten eines herkömmlichen Stadttheaters zu sprengen: fünf HauptdarstellerInnen, elf weitere DarstellerInnen, die gesamte Statisterie und eine multifunktionale Bühnenkonstruktion, die verschwendend viele Lebenssituationen auf zwei Kontinenten darstellen muss. Manch einer fühlte sich bei diesem Versuch, die Lebensgeschichte des Metronom-Erfinders Johann Nepomuk Mälzel als Fortschritts-Parabel zu erzählen, an Tankred Dorsts „Merlin“ erinnert. Und bei einem durchaus epischen Einsatz von Musik drängt sich einem die Frage auf, ob das Stück als Oper nicht besser dran wäre. Dabei ist es sonst eine von Hübners Fähigkeiten, äußerst inszenierungsfreundlich und dabei stilsicher zu arbeiten: Ob Jugend- oder Erwachsenentheater, ob Libretto oder Kammerspiel – das passt der 1964 geborene Heilbronner dem jeweiligen Thema an.

Hübner war nach einer Schauspielausbildung in Saarbrücken selbst sechs Jahre lang als Schauspieler tätig, zuletzt in Neuss, bevor er 1993 nach Berlin zog und dort als freier Autor und Regisseur arbeitete. Daher weiß er: „Es ist nichts schlimmer für einen Schauspieler, als auf der Bühne zu stehen mit einem Text, der nicht funktioniert.“

Durch die häufigen Wechsel von Genres und Stilebenen ist Lutz Hübner in seiner Laufbahn schon in vielen Schubladen gelandet. Weil, so sieht er es, anfangs mehr die Kinder- und Jugendstücke gespielt wurden und er 1998 für „Das Herz eines Boxers“ den deutschen Jugendtheaterpreis bekam, galt Hübner lange eher als Jugendtheaterautor. „Dann sprach sich rum, dass ich ein Autor bin, der gerne und lange recherchiert und an zeitgenössischen Themen interessiert ist und ich bekam auch Politisches angeboten.“ Zuletzt das viel diskutierte „Bankenstück“ am Berliner Maxim Gorki Theater, ein zeitkritisches Dokument über die Berliner Bankenpleite und die Wut der Bevölkerung.

Klar, dass Hübners aktuellstes Werk „Hotel Paraiso“ (Regie: Barbara Bürk) am Schauspiel Hannover wieder anders ausfallen würde: „Nach dieser trockenen Recherche über Aktienfonds und Bankgeschäfte musste ich einfach mal wieder eine Geschichte haben, in der ich Leute aufeinander hetze.“ Das Stück „Hotel Paraiso“ ist eine Parabel auf die Urlaubsgebahren der Deutschen, aber auch ein Familiensoziogramm, das in seiner dramatischen Entwicklung ein bisschen an Marius von Mayenburgs „Feuergesicht“ erinnert. In einem portugiesischen Hotel treffen eine midlife-crisis-geschüttelte Übermutter, ein Karriere-gebeutelter Architekt samt Tochter, eine alternde Ex-Castingagentur-Chefin, ein gemütsarmer Hotelboy und ein surfender Casanova aufeinander. Doch statt Meer, Sonne, Campari regieren im Urlaubsparadies Neid, unterdrückte Familienkonflikte und Zukunftsangst.

Hübner liebt Stereotype als Ausgang eigendynamischer Figurenkonstellationen: „Mich hat die ‚Hotel-Frühstücksraum-Situation‘ interessiert: Man kennt nach einer Zeit alle, weiß, wer Krach hat, wer schon um sieben säuft usw. Und trotzdem grüßt man sich. Zweitens war da das Interesse an Brüchen im Leben, etwa die alternde Dame aus dem Filmbusiness, bei der das, was immer ein spannendes Single-Leben war, plötzlich Einsamkeit ist. Es geht hier also ganz weg von der gesellschaftlichen Relevanz.“

Eigen ist allen Hübner-Stücken trotzdem ein gewisser soziologischer Blick. Hübner: „Das was gesellschaftlich passiert, kommt irgendwo bei den Leuten an. Meine Aufgabe als Theaterautor ist dann zu analysieren, was genau da ankommt und was das für ein Klima erzeugt.“

nächste Aufführungen: „Der Maschinist“, Staatstheater Braunschweig am 29.10. und 5.11.„Hotel Paraiso“, Schauspiel Hannover (ballhofeins) am 3.11. und 4.11.