Vom Sauhaufen zum Dollhaus

Mit dem neuen Trainer und ehemaligen Italien-Legionär Thomas Doll will der HSV auch fußballerisch zum Venedig des Nordens werden. Oder zum Werder an der Elbe. Denn der Bremer Schaaf-Stall gilt in der Hamburger AOL-Arena plötzlich als Vorbild

von Oke Göttlich

Thomas Doll gibt sich geduldig an seinem ersten Arbeitstag als Chef. Gnädig, könnte man meinen, wenn man die Einstellung der HSV-Profis am ersten Tag nach der Entlassung von Trainer Klaus Toppmöller zum Maßstab nimmt. Nach und nach trotten Mehdi Mahdavikia, Daniel van Buyten, Martin Pieckenhagen und Stefan Beinlich mit 15 oder gar 20 Minuten Verspätung in den Bauch der AOL-Arena.

Dort wartet schon seit 9 Uhr der neue Coach mitsamt dem Vorstand des HSV, um einige Worte an die eigentlich Verantwortlichen für Toppmöllers Rausschmiss zu richten. Er sei auch schon mal zu spät gekommen, sagt Doll anschließend auf seiner ersten Pressekonferenz als HSV-Coach. Und außerdem sei ja Schulanfang gewesen, weswegen auch er einige Schleichwege von Quickborn in den Volkspark fahren musste. Immerhin hatte er es bis 8 Uhr zum Trainingsgelände geschafft.

Dann hebt sich die Stimme des ehemaligen Profis und Nationalspielers plötzlich. „Das ist kein Sauhaufen“, urteilt er über sein künftiges Team. Anflüge von Selbstkritik bei einzelnen Spielern und vor allem der Ausbruch von Keeper Martin Pieckenhagen ( „Ich war zu ruhig. Ich werde ab sofort meinen eigenen Weg durchziehen. Wenn ich dabei auf der Strecke bleibe, ist mir das auch scheißegal. Ich will nicht mehr von jedem der Kumpel sein.“) tut Doll als einmalige Reaktion ab: „Martin hat das auch intern angesprochen. Das war einmalig, aber mal nötig, um einige wachzurütteln.“

Diese Einschätzung teilt auch der Vorstand des HSV. Künftig gebe es „volle Rückendeckung“ vom Vorstand für Doll, erklärt Sportchef Dietmar Beiersdorfer. „Wir sind froh, dass er sich entschlossen hat, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen.“ Wie schwierig diese ist, zeigt sich, als ein Journalist zur Frage ansetzt, ob Doll als neuer Trainer etwas ver... – noch bevor das ändern ausgesprochen werden kann, unterbricht ihn Doll mit einem dreifachen „Ja, Ja, Ja“. Er werde ständig ein 4-4-2-System spielen lassen.

Nur über den Klassenerhalt will der neue Chef nun wirklich nicht sprechen: „Das Potenzial ist für Höheres da.“ Jetzt gelte es, aus den Spielern vieler Nationen eine Einheit zu bilden und dem Team eine neue Einstellung mitzugeben: „Man darf meine lockere Art nicht unterschätzen“, sagt Doll auch noch: „Ich bin sehr konsequent.“

Auch dies hat seinen Fürsprecher Dietmar Beiersdorfer dazu bewogen, den bisherigen Regionalliga-Coach vorzuschlagen. „Er ist, wie er als Spieler war: Ehrlich, nicht zu unterschätzen und mit einem Konzept im Kopf.“ Ideen, die sich Doll als Profi nicht nur beim HSV erarbeitet hat. Genau wie Beiersdorfer war auch er als Fußballer in der italienischen Serie A. Der junge (40) Sportchef („Wir können einiges vom italienischen Fußball lernen.“) hofft mit dem jungen (38) Trainer ein wenig auf Bremer Verhältnisse: Auch Werders Meistertrainer Thomas Schaaf hat einst als A-Jugend- und Regionalliga-Trainer begonnen. „Wie Thomas Schaaf in Bremen kennt Thomas alle bis zum Platzwart und wird ein Vorbild sein“, glaubt Beiersdorfer.

Italienische Nachmittage im Volkspark wären in der Tat etwas Besonderes, eine Meisterschaft nach dem Vorbild der kleinen Hanseschwester gar für Hamburg eine Sensation. Doll möchte sie möglich machen: „Ich weiß, das ich dem Verein, bei dem ich meine schönste Zeit als Spieler verbracht habe, etwas schuldig bin“, sagt er. Und dann bittet er um „etwas Zeit“.