Jedem Ende wohnt ein Zauber inne

Software duldet keine Fesseln, fühlt sich am wohlsten im Esoterik-Gemischtwarenladen und kann viel Liebe oder Hass empfinden: Mit „Matrix Revolutions“ ist die Trilogie der Brüder Wachowski vollendet

Die Beliebigkeit und das referenzielle Spiel haben sich quasi vereindeutigt

von DIETMAR KAMMERER

Es ist vollbracht. Es hat sich ausgematrixt. Was vor sechs Jahren als düsterer Sci-Fi plus Philosophiepotenzial begann, wird jetzt mit viel Pomp und Theaterdonner dem letzten Vorhang zugeführt: „Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende“, orakelt die Werbekampagne, als ob es immer nur darum gegangen wäre, um das dicke Ausrufezeichen zum Schluss, den finalen Paukenschlag. Unschwer lässt sich darin auch der Ausruf der Erleichterung der Wachowski-Brüder und der Schauspieler heraushören, die die vergangenen Jahre vermutlich hauptsächlich damit verbracht haben, an Drahtseilen hängend halsbrecherische Aktionen vor einem Bluescreen durchzuführen und sich bei den Kampfszenen blaue Flecken zu holen.

Aber zuvor wird noch einmal richtig Dampf abgelassen. Die Killer-Maschinen sind im Anmarsch, die Bewohner von Zion, der Stadt unter der Erde, rüsten zur Endschlacht, während die Hand voll Rebellen um Neo (Keanu Reeves) die Sache in der Matrix selbst ausfechten will. An allen Ecken und Enden brennt es, und zu allem Unglück will Neo ohne gültiges Ticket U-Bahn fahren, wird seiner Aufmachung wegen aber prompt als Schwarzfahrer erkannt. Wieder gibt es jede Menge Schießereien gegen die Schwerkraft, Neo hat noch den einen oder anderen Superhelden-Trick mehr auf Lager, und das „Orakel“ (Mary Alice) darf einmal mehr milde lächelnd metaphysische Kalenderweisheiten verbreiten.

Diskurspolitisch verließ ja schon „Reloaded“ das Philosophie-Seminar und mutierte dabei zum Esoterik-Gemischtwarenladen; in „Revolutions“ bricht sich die Melange aus New Age, Multikulti und japanischem Zeichentrick nun endgültig Bahn. Auch Programme können Liebe oder Hass empfinden, brauchen Zuwendung und, ja, den Beistand der Menschen: Weil das wild gewordene Agentenprogramm Smith (Hugo Weaving) die gesamte Matrix samt Einwohnern aufgesaugt hat, muss Neo nicht nur die Rettung der Menschheit, sondern auch die der Unabhängigkeit des Cyberspace übernehmen. Diese-Plotwendung könnte glatt aus der Feder eines Open-Source-Verfechters stammen: Software will frei sein.

Zweifellos hat die „Matrix“-Filmreihe das Gesicht des Actionspektakel-Films verändert. Längst werden Look und Style der Reihe (laut Presseheft die „visionäre Kombination brutal-eleganter Action“) von anderen Produktionen abgekupfert. Aber das postmoderne Zeichen-Patchwork aus Verweisen auf „Alice im Wunderland“, Bibel, griechische Mythologie und Hong-Kong-Kino wirkte nur so lange überzeugend, wie das Spiel mit den Zitaten offen blieb und Raum ließ, die Fäden in der eigenen Fantasie weiter zu spinnen, die Null-Metapher vom „System“ je nach Belieben auf den Kapitalismus, den Überwachungsstaat oder gleich die Wirklichkeit selbst zu projizieren. Die Brüder Wachowski, so heißt es, sollen große Fans von Hermann Hesse sein. Der hat bekanntlich gesagt: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ In der forcierten Anstrengung, mit der sich die Filmreihe ins popkulturelle Gedächtnis einschreiben will (Videospiel „Enter the Matrix“, „Animatrix“-Kurzfilme), um sich zur Science-Fiction-Saga à la „Star Trek“ auszuweiten und ein geschlossenes mythologisches Universum mit zahllosen Nebenfiguren und Nebenhandlungen zu erschaffen, haben sich diese Beliebigkeit und das referenzielle Spiel quasi entpostmodernisiert, vereindeutigt. „Revolutions“ ist wieder in der Moderne angekommen: Es herrscht Krieg, und Entscheidungen müssen getroffen werden. Hermann Hesse trifft auf Carl Schmitt.

„Reloaded“, der bereits im Sommer lief, und „Revolutions“ wurden Rücken an Rücken gedreht. Um die zahllosen Abteilungen der Blockbuster-Produktion – allein über eintausend Special-Effects-Leute sollen mitgewirkt haben – zusammenzuhalten, wurde der „Zion Mainframe“ entwickelt, ein zentraler Rechner, der zum Informationsaustausch genutzt wurde und zur Koordination.

Der scheint irgendwann auch die Entwicklung der Story übernommen zu haben, anders lässt sich nicht erklären, dass die Programme in „Revolutions“ bisweilen um einiges menschlicher wirken als die bis an die Zähne bewaffneten Rebellen.

Auch beim Kampf um Zion sind die angreifenden Roboter durchweg organisch modelliert, während sich die Menschen in martialisch anmutende Kampfroboter zwängen müssen, um ihre Festung zu verteidigen: Tintenfische im Tiefflug gegen Körperpanzer. Und während die überlebenden Menschen angestrengt die Trümmer ihrer Zivilisation aufräumen, dürfen sich die Programme entspannt auf der Parkbank zurücklehnen, um den virtuellen Sonnenaufgang zu genießen.

„Matrix Revolutions“, Regie: Andy und Larry Wachowski. Mit Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss u. a., USA 2002, 129 Min.