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: Kriminelle Tat oder gängige Praxis?

Der Skandal um die erfolgreiche Olympiabewerbung von Salt Lake City geht in seine letzte Runde: vor Gericht

Nicht erst seit Leipzigs Olympiabewerbung für 2012, die kürzlich wegen der vielen Skandälchen sogar kurz vor dem Exitus stand, weiß man, dass es eine Menge Leute gibt, die solche Kandidaturen nutzen, um sich ein goldenes Näschen zu verdienen. Der Berliner Olympia GmbH etwa hielt der Rechnungshof nach ihrem gescheiterten Anlauf für die Sommerspiele 2000 vor, dass etwa 13 Millionen Mark schlicht versickert waren. Wenn jedoch rechtzeitig der Reißwolf angeworfen wird, wie damals in Berlin und jetzt offenbar in Leipzig, bleiben solche Verfehlungen in der Regel ohne Folgen.

Nicht so in Salt Lake City. Fast zwei Jahre nachdem die Winterspiele in der Mormonenmetropole tatsächlich stattfanden, stehen jetzt Dave Johnson (44) und Tom Welch (59) vor Gericht, jene beiden Geschäftsleute, die Olympia nach Utah geholt hatten. Die Mittel, die sie dafür wählten, hatten 1998 den größten Skandal in der Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ausgelöst. In einem für viele der verwöhnten Olympier, allen voran Präsident Juan Antonio Samaranch, sehr schmerzlichen Säuberungs- und Reformprozess hatte es das IOC damals gerade noch geschafft, seinen Untergang abzuwenden. Zehn Mitglieder, die sich hatten bestechen lassen, wurden ausgeschlossen, andere verwarnt.

Lange hatte es so ausgesehen, als würden Welch und Johnson, die etwa eine Million Dollar für den illegalen Stimmengewinn ausgaben, ungeschoren davonkommen. Kurz vor den Spielen 2002 wurde das Verfahren eingestellt. Vor einigen Monaten hob ein Bundesgericht diesen Beschluss jedoch wieder auf, und nun wird doch noch einmal das ganze Sammelsurium der Käuflichkeit ausgebreitet: Die 322.000 Dollar, die das ehemalige IOC-Mitglied Jean-Claude Ganga aus dem Kongo in bar sowie in Form von Geschenken und Gratistrips nach Paris und New York erhielt; die Stipendien und Arbeitsplätze für Kinder von IOC-Mitgliedern, der Golden Retriever für den Ekuadorianer Agustín Arroyo und vieles mehr. Erstmals wurde bekannt, dass sich auch Johnson selbst in den schwarzen Kassen bedient hatte. 15.000 bis 18.000 Dollar erhielt er – angeblich für die Beherbergung der Kinder von IOC-Mitgliedern.

Die Strategie der Verteidigung ist simpel. Zum einen seien die beiden Angeklagten keineswegs allein, sondern in ein Team von hochrangigen Leuten eingebunden gewesen, die alle über die Vorgänge Bescheid wussten. Als Zeugen vorgeladen wurden zum Beispiel Senator Orrin Hatch, Gouverneur Mike Leavitt, Ex-Bürgermeisterin Deedee Corradini und die US-amerikanische IOC-Vizepräsidentin Anita DeFrantz. Zum anderen seien ihre Handlungen keineswegs kriminelle Exzesse gewesen, sondern gängige Praxis. Spätestens nachdem man die Spiele 1998 an Nagano verloren hatte, sei klar gewesen, so Verteidiger Bill Taylor, „dass man die Spiele nicht mit Salzwasser-Toffee und Honig-Gläschen bekommt“. Die Bestätigung dieser Einschätzung sollen vor Gericht die erfolgreichen Olympiabewerber von Atlanta liefern. Hoffnung setzt die Verteidigung in Richter David Sam, derselbe, der das Verfahren schon einmal niederschlug. Im Falle einer Verurteilung würde Welch und Johnson Gefängnis zwischen vier und 75 Jahren drohen. Und all das bloß, weil in der Stunde der Not gerade kein Reißwolf zur Hand war. MATTI LIESKE