Zurück hinter Mauern

Bernd Stanges Fußballkampf im Nachkriegs-Irak: Ohne Geld und ohne Unterstützung ist der Traum von der WM-Qualifikation für den deutschen Trainer und seine irakische Mannschaft kaum erfüllbar

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Bernd Stange ist enttäuscht, maßlos sogar. „Vielleicht muss ich an dieser Stelle einen Pfahl in den Boden rammen und sagen: So weit und nicht weiter“, meint er nachdenklich im Café des Bagdad Sheraton sitzend. Stange ist frustriert – nicht etwa aus Gründen, die andere Fußballtrainer nach unten ziehen, wie etwa eine schlechte Mannschaft am Ende der Tabelle. Die von ihm trainierte irakische Nationalmannschaft hat seit dem Krieg viel erreicht, sich sogar überraschend für den Asiencup in China 2004 qualifiziert.

Aber vielleicht sollte man Stanges Geschichte von vorne erzählen, wenngleich nicht ab dem Zeitpunkt, als er vor einem Jahr seinen Vertrag mit der irakischen Nationalmannschaft unterzeichnet hat. Aber vielleicht von da an, wo für die meisten Iraker die neue Zeitrechnung beginnt – vom Ende des Krieges nach dem Sturz Saddam Husseins.

Tatsächlich hatte es zunächst gut angefangen. „Möge euch mein Gott beschützen“, hatte der deutsche Trainer noch vor dem Krieg seinen irakischen Spielern zum Abschied erklärt. Dann war er auf Weisung des Auswärtigen Amtes ausgereist. Als der ehemalige Trainer der DDR-Nationalmannschaft eine Woche nach Kriegsende wieder nach Bagdad zurückkehrte, musste sich die Nachricht erst einmal von Mund zu Mund verbreiten, dass er wieder zurück ist. Telefone und Strom gab es nicht, manche Spieler wurden einfach mit dem Auto abgeholt. Stange fand alle seine Spieler lebend und wohlauf vor.

„Ich habe bei absolut null angefangen“, sagt der 55-Jährige heute. Im Stadion auf dem einstigen Trainingsgelände standen US-Panzer. Ein Teil des Platzes diente den Amerikanern als Hubschrauberlandeplatz, das Gras war aufgerissen und verbrannt. Dann stellte ein Bagdader Vorortclub seinen Platz zur Verfügung. Aber auch dort war in den ersten Tagen nach dem Krieg alles gestohlen worden, von den Tornetzen über die sanitären Anlagen bis zur gesamten Ausrüstung. Die deutsche Botschaft in Bagdad brachte unbürokratisch Trainingsgerät ins Land. Bei 50 Grad Hitze begann die Mannschaft zu trainieren; Abendtraining war wegen der Ausgangssperre unmöglich. Es war ein „Nun-erst-recht-Gefühl“, beschreibt Stange die Amtosphäre.

In einem dreiwöchigen Trainingslager in Bad Wörishofen bei München hat Stange dann wieder „aus den Jungs eine Fußballmannschaft gemacht“. Obwohl das Team später in der Asiencup-Qualifikation nur Auswärtsspiele zu bestreiten hatte, da die Sicherheitslage für Heimspiele zu gefährlich war, schlossen die Iraker ihre Gruppe als Sieger ab. Damit rangieren sie auf Platz 52 der Weltrangliste – vor Österreich, Island, Wales oder Schottland. „Und Berti hatte mit Sicherheit Tornetze und genügend Bälle zu Verfügung“, meint Stange mit unverhohlenem Stolz. Er sagt: „Für mich bedeutete das Ganze nie gekannte Strapazen, aber wir haben es geschafft.“ Und: „Wir haben unter schlimmsten Bedingungen bewiesen, dass wir anderen eine Nase drehen können.“ Es hat sich gelohnt: Ganz Bagdad begann nach Ende des letzten Qualifikationsspieles in die Luft zu schießen, wie bei der Meldung des Todes der Saddam-Söhne Udai und Kusai, erinnert sich der Trainer.

Doch was nützt der größte Sieg, wenn der irakische Fußballverband keinen Cent besitzt. Stange arbeitet sozusagen ehrenamtlich, genau wie seine Spieler, von denen sich neun inzwischen ins sichere und bezahlende Ausland, vor allem in die Golfstaaten, abgesetzt haben. Zum Training der irakischen Nationalmannschaft kommt keiner von ihnen zurück. Entscheidend für den Weggang war für die Spieler, dass es im Irak derzeit keine Liga gibt. Die wenigen Versuche, seit Kriegsende größere Spiele zu veranstalten, endeten mit dem im neuen Irak üblichen Chaos: Rivalisierende Fans nahmen sich gegenseitig unter Feuer. „Alle Iraker haben Waffen – und Waffen haben im Stadion nichts zu suchen. Also vergiss die Liga“, sagt Stange bitter. Er könne es seinen Spielern nicht verdenken, dass sie sich absetzen, weil sie einfach nur Fußball spielen wollen, meint er. Dennoch sagt er: „Sie haben mich einsam zurückgelassen.“

Doch das Schlimmste, der Hauptgrund, warum sich Stange überlegt, ob er in Bagdad weitermachen will, ist ein anderer. Die amerikanische Besatzungsverwaltung, also jene, die das Land regieren, lassen Stange und seine übrig gebliebene Mannschaft hängen. Nicht nur, dass die neuen Übergangsministerien kein Budget zur Verfügung haben. Als sich Stanges Mannschaft für den Asiencup qualifiziert hatte, gab es nicht einmal Glückwünsche. „Ich dachte eigentlich, die Amerikaner und vor allem die Briten wissen, was Fußball für die Menschen hier bedeutet“, sagt Stange. Fußball ist die Leidenschaft der Iraker. Das runde Leder käme gleich nach der Familie und der Arbeit. „Was wäre, wenn man den Amerikanern ein Jahr lang ihr American Football wegnehmen würde“, fragt er.

Außerdem macht sich Stange Sorgen um seine eigene Sicherheit. Erst vor drei Tagen wurde sein Fahrer angeschossen, nur einen halben Kilometer von dem Hotel entfernt, in dem Stange residiert. Und auch letzte Woche, als überall in Bagdad die Bomben hochgingen, hat Stange schlichtweg Angst gehabt. Meist ist er im Hotel geblieben, hinter dicken Betonmauern und Stacheldraht verschanzt. „Ich habe den großten Teil meines Lebens in der DDR hinter einer Mauer und Stacheldraht verbracht, ich möchte das nicht noch einmal erleben müssen“, sagt er.

Jeden Dienstag fährt Stange dennoch zum Training, mit dem traurigen Rest seines Teams. „Ich habe Angst, wenn ich durch die Stadt fahre“, erklärt er. Auf der Fahrt zum Training macht er stets einen großen Bogen um jede US-Militärinstallation und jede irakische Polizeistation, aus Furcht vor Anschlägen.

Ohne Geld und ohne Spieler wird es wohl nichts mit dem großem Ziel, dass sich Stange gesteckt hat: der WM-Qualifikation. „Wenn man mir dieses Ziel jetzt wegnimmt, bin ich der falsche Mann hier“, sagt er.

Vielleicht ist Stange auch einfach nur am falschen Ort, ein Ort, an dem die Betonmauern immer höher, die Stacheldrahtzäune immer länger und die Bomben immer größer werden. Bis Weihnachten gibt er sich Zeit, um einige grundsätzliche Entscheidungen für sein weiteres Leben zu fällen. Als er vom Tisch im Café des Bagdad Sheraton aufsteht, bleibt schon heute ein letzter Satz des Zweifels: „Ich frage mich, sagt Stange, „ob mein Einsatz tatsächlich den Preis wert ist.“