Dritter Weg von Deutschland und Frankreich

Anstatt den Stabilitätspakt für tot zu erklären oder seinen Regeln zu folgen, lavieren Berlin und Paris immer weiter

Seit die Wirtschaft in der Eurozone kränkelt, ist das Thema Stabilitätspakt von der Tagesordnung nicht mehr wegzudenken. Die Ausgangslage ist denkbar einfach: Der Pakt wurde in den fetten Jahren von den großen EU-Ländern ersonnen. Sie wollten die Frischlinge aus dem Süden daran hindern, die harte Deutsche Mark und den halbwegs stabilen Franc mit ihrer unsoliden Haushaltspolitik in den Inflationsstrudel zu reißen.

Zehn Jahre später hat sich das Blättchen so gewendet. Die Hallodris aus dem Süden legen ausgeglichene Haushalte vor. Deutschland und Frankreich dagegen stopfen die Löcher in ihren chronisch leeren Kassen mit immer neuen Schulden.

Nobel wäre es, das offen zuzugeben. Dann müssten die Regierungen in Berlin und Paris entweder deutlich sagen, dass der Pakt angesichts der Wirtschaftslage nicht mehr zu halten ist. Oder beide müssten sich den im Pakt vorgesehenen Strafmaßnahmen unterwerfen. Da man in der Politik mit Psychologie weiter kommt als mit Ehrlichkeit, haben sich Berlin und Paris für einen dritten Weg entschieden.

In Artikel 104 EG-Vertrag ist festgelegt, wie diese Prozedur ablaufen soll: Die Kommission gibt eine Stellungnahme ab (Art. 104,5). Der Rat entscheidet auf dieser Grundlage, ob ein übermäßiges Defizit besteht (Art. 104,6). Der Rat macht dem betroffenen Land auf Vorschlag der Kommission Auflagen, die nicht veröffentlicht werden (Art. 104,7). Werden die Empfehlungen nicht innerhalb einer Frist umgesetzt, werden sie veröffentlicht (Art. 104,8).

Gestern hätten die Finanzminister die Daumenschrauben weiter anziehen sollen. Art. 104,9 sieht vor, dass Frankreich ein Sanierungsplan vorgeschrieben wird. Regelmäßig müsste die Regierung dem Rat Berichte darüber vorlegen, wie weit der Plan in die Tat umgesetzt ist. Diese fremde Einmischung behagt Paris natürlich nicht. Genauso wenig wie den Deutschen: Angesichts der miesen Finanzlage wären sie als Nächste dran.

Juristen wurden beauftragt, den Vertragstext nach Schlupflöchern zu durchsuchen – und sie wurden fündig. Nichts spräche dagegen, so die Meinung des Juristischen Dienstes im Rat, nach Artikel 104,8 von vorn zu beginnen und den Franzosen noch einmal hinter verschlossenen Türen die Leviten zu lesen. Kein Wunder, dass sich die kleinen Länder Österreich, Finnland und Holland über das Gemauschel der Großen empörten. Auch Währungskommissar Pedro Solbes bleibt dabei: Auf 104,8 folgt 104,9. Seine Rechtsexperten sehen das genauso.

Die italienische Ratspräsidentschaft baut offensichtlich aufs Aussitzen des Problems. Am 25. November will Finanzminister Giulio Tremonti das französische Defizit aber wieder auf die Tagesordnung setzen. Möglicherweise liegt dann schon eine Stellungnahme der Kommission zum deutschen Defizit vor. Man könnte dann gleich für beide Länder einen kreativen Ausweg aus dem peinlichen Verfahren ersinnen. DANIELA WEINGÄRTNER