Jukebox

Heute muss man als Mäzen schon an die Börse gehen

Man kann ja allerhand machen mit seinen Ersparnissen. Lehman-Derivate kaufen, davon gibt es neuerdings richtig viele für wenig Geld. Man könnte auch Handball-Schiedsrichter bestechen, eine der wenigen aktuell gerade prosperierenden Branchen. Oder im Internet Texas Hold’em spielen, denn reguläres Pokern scheint momentan eine vergleichsweise ehrenvolle und erfolgversprechende Methode, sein Geld anzulegen. Man kann aber auch in Kultur investieren. Die Renditen sind zwar bescheiden bis nicht vorhanden, aber dafür bekommt man zum Beispiel ein schönes Lied. So Lieder wie die von Angelika Express.

Deren Kopf Robert Drakogiannakis hatte, den ökonomischen Gegebenheiten und wohl auch einer drängenden Egomanie verpflichtet, den eigenen Betrieb radikal verschlankt, sein Kölner Rocktrio zur Ich-AG reduziert und das neue Albumprojekt mit einem Gesamtbudget von 25.000 Euro an die Börse gebracht. Der Emissionspreis betrug 50 Euro pro Anteil, es gab mehr als eintausend Bewerbungen für die 500 Anteile, die dann verlost werden mussten. Die Anteilsausschüttungskampagne trägt nun den vertrauensbildenden Album-Namen „Goldener Trash“.

Dank des aufgestockten Eigenkapitals war es Drakogiannakis möglich, vier Monate lang jede Woche einen Song zu schreiben, aufzunehmen und im Internet zum frei verfügbaren Download anzubieten. 80 Prozent der erwirtschafteten Gewinne sollen an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Um allerdings in die Gewinnmarge zu gelangen, projektiert der Jungunternehmer einen Break-Even-Point von 3.000 verkauften CDs und 1.000 bezahlten Downloads für das kürzlich erschienene Album. Da diese Zahlen wohl utopisch sind, könnte man in leicht abgewandelter Umkehrung einer momentan beliebten Weisheit sagen: Die (monetären) Verluste werden privatisiert, die (kulturellen) Gewinne sozialisiert.

Neu ist das nicht. Erst vor wenigen Jahren finanzierten die Einstürzenden Neubauten ein Album über ein vergleichbares Supporters-Modell. Das Grundprinzip: demokratisiertes Mäzenatentum für die Massengesellschaft, Individualitätsanschein inklusive.

Und wie sich das anhört? Musikalisch nach schneidiger Rockgitarre, textlich nach parolenhafter Griffigkeit und – natürlich – schwer musikindustrie- und kapitalismuskritisch. Nachzuhören für zehn Euro beim Konzert von Angelika Express am Sonntag im Magnet. THOMAS WINKLER