Avantgarde des „Völkerfrühlings“

Er sei doch nur ein „ganz normaler Mensch“. Ein Müller eben. Der 35-Jährige betont selbst immer wieder, wie wenig er in das Raster und Klischee vom Neonazi passe. Ein ganz normaler Müller eben, der vor einigen Jahren noch Felsen der Kategorie 10 in der Sächsischen Schweiz geklettert ist. Der zu DDR-Zeiten „aus Karrieregründen“ in die CDU eintrat, diese Partei 1992 wieder verließ und endlich zur NPD-Programmatik gekommen ist. Ganz normal.

Dr. Johannes ist einer von zwölf Abgeordneten der NPD, die heute in den Sächsischen Landtag ziehen. Der unprätentiöse Kardiologe, bisher Stationsarzt einer Rehaklinik im Kurort Bad Schandau, hob sich bei öffentlichen Auftritten tatsächlich vom Geschnodder seines zukünftigen Fraktionschefs Holger Apfel ab.

Auch beim Gespräch in der Landtagskantine blickt er eher defensiv hinter seiner engen Nickelbrille hervor. Trotz seiner fünfjährigen Erfahrung im Sebnitzer Stadtrat und im Kreistag Sächsische Schweiz ist das Schwanken auf dem landespolitischen Parkett noch spürbar.

Ist er nicht eigentlich ein netter Dr. Mitbürger? Marotten wie die latente Deutschtümelei und das mythische keltische Sonnenrad auf dem Zifferblatt seiner Armbanduhr wird man wohl verschmerzen können. Und schließlich sind auch andere gegen Multikulti, wollen, dass sich Völker zwar besuchen, aber nicht weiter vermischen. „Sonst könnten Bevölkerungsmehrheiten kippen wie im Kosovo“, sagt Müller.

Im leicht verwaschenen Sächsisch eines Ursebnitzers berichtet er vom Respekt, der ihm in seiner Heimatstadt entgegengebracht werde. Auch damals von der Familie Kantelberg-Abdullah, deren Sohn Joseph angeblich von Neonazis im Schwimmbad ermordet worden war.

Wie hält er es dann mit den Skinheads Sächsische Schweiz und anderen Schlägern in der Region? Damit möchte Müller nicht in Verbindung gebracht werden. Vielmehr sei es doch so, sagt er, dass die Partei solchen „Wildwuchs“ domestiziere. So gesehen muss man der Partei ja nachgerade dankbar sein, dass sie auf ihrem Parteitag in zwei Wochen drei einschlägig bekannte Neonazis in den Bundesvorstand wählen will.

Ist das die heutige NPD? Hier gerät das anscheinend unerschütterliche Gemüt des Arztes doch leicht in Wallung. „Europa ist an der Existenz nationaler Parteien in anderen Ländern auch nicht untergegangen“, ruft er da fast und fragt, warum man nicht „ganz normal“ national gesinnt sein könne in Deutschland, ohne gleich mit der Nazi-Vergangenheit erpresst zu werden.

Hinter der Verteufelung stecke doch nur die Angst der etablierten Parteien, ihre politischen Besitzstände zu verlieren. Dabei habe doch ihre Entfremdung vom Volk längst eingesetzt. „Wenn sie an unseren Wahlergebnissen etwas ändern wollen, müssen sie nur ihre Politik ändern, sodass die Leute nicht nach Alternativen suchen.“

Gegen den globalisierten Wettbewerb zum Beispiel. Dem möchte Müller eine „raumorientierte Volkswirtschaft“ entgegensetzen. „Die Wirtschaft muss wieder dem Volk dienen und nicht umgekehrt“, sagt Johannes Müller. Die von Parteichef Udo Voigt ausgerufene „Überwindung des BRD-Systems“ meint für ihn eine plebiszitäre Demokratie nach Schweizer Modell. „Ich bin Nationaldemokrat“, betont er. Und überrascht dann noch einmal mit einer Schilderung seiner guten Kontakte zu den tschechischen Nachbarn, deren Sprache Sebnitzer Kinder selbstverständlich als erste Fremdsprache lernen sollten.

Am Haus von Klaus Baier in der heimlichen Erzgebirgshauptstadt Annaberg-Buchholz fällt der erste Blick sofort auf ein Verbotsschild. Darauf werden „widerliche, sensationsgeile Vertreter der BRD-Journaille“ zur Unterlassung aller fotografischen Aktivitäten aufgefordert. Die Alten und Kranken im Haus könnten andernfalls gestört werden.

Seit Klaus Baier 1994 aus dem Westexil in die „arzgebirgsche Hamit“ (Heimat) zurückkehrte, sein von der SED enteignetes Geburtshaus zurückkaufen konnte und einen Pflegedienst einrichtete, wohnen mehrere gebrechliche Menschen im Haus. Auch ein alkoholkranker Analphabet, ein „Verlierer der Wende“, dem sonst keiner mehr helfen kann, wie Baier sagt.

Nach seiner Ausreise aus der DDR 1984 wurde aus dem ehemaligen Reichsbahn-Mechaniker in Baden-Württemberg ein Rettungsassistent und zehn Jahre später im Osten ein freier Krankenpfleger. Heute ist er 44, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes und zieht in den Sächsischen Landtag ein.

Der stämmige Typ in seiner gemütlich-störrischen Erzgebirgsart hat eigentlich die Nase voll von der „Hetze“ der Presse. Er wolle einfach nicht weiter observiert werden wie von der Stasi zu DDR-Zeiten. In seinem schlichten Büro, in dem einige Anerkennungsurkunden seiner Arbeit schon die brisanteste Dekoration darstellen, taut er dann doch langsam auf und beginnt, seine nationale Gedankenwelt auszubreiten.

Irgendwie passt das krause Gemisch seiner Gedanken auf die Geschichte seines Hauses. Es soll das zweitälteste in Annaberg sein, man sitzt unter Kreuzgewölben. 1917 wurde hier die örtliche KPD gegründet. Dann wohnte ein U-Boot-Kommandant der Wehrmacht hier, nach 1945 hing wieder ein Stalin-Bild im Hausflur. Und jetzt an gleicher Stelle ein NPD-Wahlplakat und ein Aufkleber „Deutsche wehrt euch!“ – die einzigen Hinweise auf den Geist des Hausherrn.

Der irritiert vollends, als er sich seinem Gefühl nach eher als Linker outet. Die PDS ist ihm aber als SED-Nachfolgepartei suspekt. Für seine NPD hingegen weist er jede gedankliche Verbindung zur NSDAP natürlich zurück: „Blödsinn.“ Im Übrigen sei das ja alles Geschichte, mithin etwas für Historiker, man soll lieber „nach vorn schauen“.

Und genau das meinte Klaus Baier auch zu tun, als er 1999 den NPD-Kreisverband gründete. Das „Leiden an den Nachwende-Zuständen“, an vertanen Chancen, der Blick auf so viele „kaputte Leute“ in seiner Umgebung, all das habe ihn zur einzig möglichen Partei geführt: der NPD. Bei den Landtagswahlen erzielte sie in der Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit das zweitbeste Ergebnis in Sachsen.

Auch bei Klaus Baier kommt der deutsche Identitätskomplex zum Vorschein. Für seinen Geschmack werde zu viel Fremdes verherrlicht, der Stolz auf die deutsche Kultur dagegen vernachlässigt. Was seine Unterarmtätowierung mit dem Warthegau-Adler wirklich soll, weiß er offenbar selbst nicht.

Sein besseres Deutschland ist vor allem ein soziales, in dem Vermögen wieder besteuert werden, Reimporte abgewanderter Unternehmen mit Strafzöllen belegt werden und Scheinasylanten nicht mehr die Sozialsysteme belasten. Ein „freies Deutschland“ ohne Nato, aber in einem vereinten Europa, schon um dem „Größenwahnsinn“ der USA zu begegnen.

Über den künftigen Alltag als Landtagsabgeordneter macht er sich keine Illusionen: „Lieber geschnitten als sich verbürgerlichen lassen!“ Zumindest sein legal und demokratisch errungenes Mandat möge man aber bitte ernst nehmen.

Unter den zwölf Abgeordneten der NPD muss man ihn wohl am meisten ernst nehmen. Einen Dreißigjährigen, dem man den burschenschaftlich trainierten Schneid sofort anmerkt. Jürgen W. Gansel ist neben Holger Apfel und Buchhalter Alexander Delle einer der drei Mitarbeiter des NPD-Parteiverlags Deutsche Stimme in Riesa, die nun in den Landtag einziehen. Gansel ist nicht irgendeiner, er steht im Ruf eines Chefideologen. Zahlreichen Artikeln im deutschtümelnden Duktus ist es anzumerken. Gansel, der in Gießen und Marburg seinen Magister der Geschichts- und Politikwissenschaft erwarb, spricht, wie er schreibt: schneidig. Als künftiger Skandalrhetoriker könnte er im Landtag eine gute Figur machen.

Der Weg zu Gansel führt in ein unscheinbares, weißes Gebäude in einem Riesaer Gewerbegebiet. Zur Redaktion der Deutschen Stimme gelangt man durch einen teutonischen Devotionalienladen. CDs von Peter Alexander bis Frank Rennicke, Aufkleber „Odin statt Jesus“, Schilder der Reichskulturkammer „Swing tanzen verboten“. Stets sind junge Kunden im Laden. Gansel stört deren oberflächliche Popkultur etwas. Er will sie in die „von uns gewünschten Bahnen lenken“. Unterwegs auf diesen Bahnen wird man unweigerlich auf den deutschen Nationalkomplex treffen, die Phobie, ständig von Feinden umzingelt zu sein. Man kann dann auch gleich ein neues, ein richtiges Geschichtsbild mitnehmen. Eines für die Zeit nach 1945, das nicht „siegervermittelt“ ist. Eines, das auch den „Verrat nationaler Interessen“ durch die Bundesregierung thematisiert. Oder den „Nationalmasochismus“ der Frankfurter Schule. Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ gerät en passant zum „unappetitlich jüdischen Buch“.

Einmal auf die rechte Bahn gelenkt, kann der national Gesinnte aber auch ein wenig Hoffnung schöpfen. Denn nachdem die scheinbare Wohlstandsgesellschaft lange die „ethnischen Fremdkörper“ überdeckt habe, breche mit den Widersprüchen der Globalisierung nun ein „Völkerfrühling“ an. Für Gansel steht auch fest, dass ein Gegenmodell zum internationalistischen Kapitalismus nur nationalistisch sein kann: „Entnationalisierung bedeutet auch Entsozialisierung!“

Man müsse, so Gansel, das eigene Land wirtschaftlich wieder vor dem „Freihandels-Extremismus“ schützen. Sonst gebe es nur wenig Hoffnung. Nach der „Teilwiedervereinigung“ sieht Gansel das Ende der Bundesrepublik wegen ihrer Verkrustungen ebenso nahen wie seinerzeit das der DDR. Immerhin soll nicht mehr die ganz Welt am deutschen Wesen genesen. Ihm würde es reichen, wenn wir selbst wieder gesunden würden.

Es hat etwas von missionarischem Eifer, wie der blonde Igelhaarträger für seine völkischen Überzeugungen glüht. Im Landtag wird der Gansel, der in Bildern von Caspar David Friedrich „deutsche Volkskräfte in der Landschaft walten“ sieht, im Kultur- und Medienausschuss sitzen. Dann werde es zuerst um eine deutsche Musikquote im Radio, die „Schlechtschreibreform“ und den Ausstieg Sachsens aus der Kultusministerkonferenz gehen, kündigt er an.

Zu sagen wird er freilich wenig haben. Aber Cornelius Weiss (SPD), der als Alterspräsident die konstituierende Landtagssitzung eröffnen wird, billigt Leuten wie Gansel eine „hohe selektive Intelligenz“ zu. Deshalb werde sich das Problem NPD in den kommenden fünf Jahren auch wohl kaum von selbst erledigen.