Alles andere als in Ordnung

Wolfgang Schäuble hat Nein gesagt: Nein zur Merz-Nachfolge. Mit seiner Absage bringt er die Parteivorsitzende in Erklärungsnot

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Sie macht das freiwillig. Es hat sie niemand dazu gezwungen. Angela Merkel hat sich diesen Job selbst ausgesucht. Und es gibt viele, die neidisch sind, weil sie ihn bekommen hat. Das alles muss man sich an diesem Montag in Erinnerung rufen, während man auf die Pressekonferenz der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel wartet. Sonst könnte es passieren, dass einen so etwas wie Mitleid überkommt. Denn sie muss da jetzt gleich raus, aus ihrem Büro im Konrad-Adenauer-Haus. Sie muss sich vor die Leute stellen und so tun, als sei die Welt, ihre Welt, die Welt der CDU in Ordnung. Und das ist an diesem Tag nicht einfach nur schwer. Es ist schlicht unmöglich.

Nichts ist in Ordnung. Alles ist schief gelaufen. Alle wissen das, die hier sitzen. Alle haben längst mitbekommen, dass sich Wolfgang Schäuble dem Wunsch Merkels verweigert hat, die Nachfolge von Friedrich Merz als Wirtschafts- und Finanzexperte der CDU-Bundestagsfraktion anzutreten. Das ist kein normaler Vorgang. Es geht um mehr als um eine Postenumbesetzung innerhalb einer Oppositionsfraktion. Für Merkel ist Schäubles Absage eine Katastrophe.

Als sie schließlich vor den Pressepulk tritt, spricht Merkel über den „zweiten deprimierenden Fall binnen weniger Tage“. Sie meint die Opel-Krise, die nur kurz nach der Karstadt-Krise gekommen sei. Aber dazu stellt hier keiner Fragen. Davon will niemand etwas hören. Alle interessieren sich nur für Merkels eigene Krise, für ihren zweiten Personalproblemfall nach dem überraschenden Merz-Rücktritt vor ein paar Tagen. Schäuble wäre der einzige gewesen, der den brillanten Rhetoriker Merz hätte ersetzen können. Der frühere Parteichef Schäuble gilt immer noch als politisches Schwergewicht. Als der einzige außer Merz, der es mit den sozialdemokratischen Ministern Wolfgang Clement und Hans Eichel aufnehmen könnte. Und mehr noch, wichtiger noch für Merkel: Hätte Schäuble ihren Wunsch erfüllt, wäre das ein Zeichen gewesen. Ein Zeichen der Versöhnung zwischen der Vorsitzenden und ihrem Vorgänger, den sie bei der Bundespräsidentenwahl ausgebootet hatte. Es wäre ein Zeichen gewesen, dass die Gerüchte über eine „Verschwörung“ konservativer West-CDUler, zu denen Schäuble gehört, gegen die ostdeutsche Protestantin Merkel völlig übertrieben sind.

Aber Schäuble hat Nein gesagt. Drei „intensive“ Gespräche, die Merkel mit ihm geführt hat, am Freitag, Sonntag und am Montag, haben nicht geholfen. So klingt es fast wie ein Witz, wenn Merkel jetzt sagt: „Er möchte mir helfen.“ Das genau tut er eben nicht. Und es hilft ihr wenig, dass sie verständnisvoll erklärt, Schäuble sei bei den „freundschaftlichen“ Gesprächen zu der Ansicht gelangt, er könne ihr und der Partei besser helfen, wenn er wie bisher für die Außenpolitik zuständig bleibt.

Bei ihrem derzeit größten Problem steht sie ohne prominente Unterstützer da. Den Streit mit der CSU um die Steuerpolitik, die untrennbar mit der Gesundheitspolitik verbunden ist, muss Merkel nun allein ausfechten.

Es spricht viel dafür, dass Schäuble Merkel absichtlich in eine Falle tappen ließ. Jedenfalls, das steht fest, hat er nicht gleich abgesagt, als sie mit ihrem Angebot, Merz-Nachfolger zu werden, an ihn herantrat. Er hielt sie hin, erbat sich Bedenkzeit. Merkel wiederum muss das Gefühl gehabt haben, dass er Ja sagen würde. Anders ist es kaum zu erklären, dass sie die Meldungen, wonach es Schäuble machen könnte, sollte, wahrscheinlich auch tun würde, tagelang nicht dementieren ließ. Noch gestern früh waren Merkels Leute guten Mutes, zeigten sich optimistisch, dass der Befreiungsschlag mit der Schäuble-Präsentation gelingen könnte. Umso blamierter ist Merkel jetzt. Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit finden selbst die in der Unionsfraktion, die sonst noch jede Wendung der Ereignisse in ihrem Sinne positiv auslegen, keine trostspendenden Worte mehr. „Das Problem ist“, sagt einer ihrer treuesten Anhänger, „dass die Verschwörungstheorie Substanz bekommt“. Merkels einziger Vorteil bleibe: Die Verschwörer haben keinen Gegenkandidaten. Noch nicht.