Tretminen im Brüssler Eurostat-Büro

Schwarze Kassen, doppelte Buchführung, ungenügende Leistungskontrolle: Im Statistikamt der EU wurden zwischen 1999 und 2002 rund 450 Millionen Euro schlampig vergeben. Chefprüfer Jules Muis legte am Montagabend seinen Abschlussbericht vor

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Als Chefprüfer Jules Muis Montagabend seinen internen Eurostat-Bericht dem Haushaltskontrollausschuss erläuterte, interessierten sich die Abgeordneten vor allem für ein Schriftstück: Im Juli 2002 hat der damalige Generaldirektor der Statistikbehörde Eurostat, Yves Franchet, das Kabinett des zuständigen Kommissars Pedro Solbes über seine Praxis informiert, Einnahmen aus dem Verkauf von Statistiken an Privatleute (Datashops) in schwarzen Kassen zu parken.

Solbes behauptet, diese Information nie erhalten zu haben. Vieles spricht dafür, dass jemand aus seinem Kabinett die Note „entschärfte“ und die brisante Information unter den Tisch fallen ließ. Gegen Franchet ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. Ob Solbes die politische Verantwortung für den Skandal übernehmen muss, darüber sind die Europaabgeordneten uneins.

Muis’ Bericht liefert weitere Belege dafür, dass neben Solbes auch andere Kommissare angezählt sind. Außenkommissar Chris Patten zum Beispiel hat gegen den Rat seiner Beamten Aufträge im Umfang von 35 Millionen Euro an eine Firma vergeben, die als unzuverlässig galt. Insgesamt sind nach Muis’ Recherchen in den Jahren 1999 bis 2002 Aufträge von mehr als 450 Millionen Euro vergeben worden, bei denen die Vertragsbedingungen unklar und die Leistungskontrolle ungenügend war.

Noch brisanter als die unzähligen Belege für mangelnde Kontrolle und Vertuschung von Schlampereien im Muis-Bericht ist die Botschaft, die der Chefprüfer den Abgeordneten eindringlich nahe zu bringen versuchte: Eurostat ist nach seiner Überzeugung nur die Spitze des Eisbergs. In den Ehrenerklärungen, die die Kommission sich inzwischen von allen Generaldirektoren hat geben lassen, „liegen weitere Probleme versteckt, mit denen sich das nächste Parlament herumschlagen muss“.

Muis übt Fundamentalkritik an der Verwaltungskultur und dem Rechnungsprüfungssystem der EU-Kommission. Alle bisherigen Reformbemühungen hält er für Kosmetik. „Man kann immer neue Kontrollen einführen und immer neue Verwaltungsvorschriften erfinden – das ändert nichts am Grundproblem.“ Muis sieht den einzigen Ausweg in einem völlig neuen Aufbau des EU-Verwaltungsapparats. Jeder Abteilungsleiter müsse für seine Ausgaben gerade stehen. Die Kontrolleure dürften nicht den gleichen Chef haben wie die Kontrollierten. Es müsse einen grundlegenden Wertewandel bei den Beamten geben – hin zu Eigenverantwortung, Informationsaustausch und Transparenz.

Auf die Frage der Abgeordneten, wer politisch für das Eurostat-Debakel verantwortlich sei, antwortete Muis nicht. Sein Auftrag sei nur gewesen, die 400 externen Verträge der Kommission in den Jahren 1999 bis 2002 zu überprüfen. Mit den Tretminen, die nach seiner Überzeugung in allen Abteilungen schlummern, wird er sich nicht mehr befassen müssen. Muis hat seinen Vertrag vorzeitig gekündigt und verlässt die reformbedürftige EU-Kommission im nächsten Frühjahr.