Erhabenheitsgesten galore

Ende der 80er eine Blaupause für Postpunk mit deutschen Texten vorgelegt: Ein Gespräch mit der „Kolossalen Jugend“, die gerade wieder ihr Gesamtwerk plus Extras herausgebracht hat

Protokoll: Alexander Diehl

Als „Ausgangspunkt und Zentrum“ der Hamburger Schule bezeichnete die taz vor Jahren die Kolossale Jugend. Nach einer Single und zwei Alben löste diese sich 1990 auf, hinterließ aber eine Blaupause dafür, wie deutsche Texte und das musikalische Vokabular von Postpunk und Indierock zu vereinen sein könnten. Jetzt gibt es ein Lebenszeichen, aber keine Nostalgie, wie drei Viertel der ehemaligen Kolossalen Jugend im -Gespräch erklären: Sänger Kristof Schreuf, Bassist Klaus Meinhardt und Gitarrist Pascal Fuhlbrügge.

taz: Knapp 15 Jahre, nachdem ihr euch getrennt habt, kommen eure Alben wieder heraus. Dazu erscheint ein neues Stück, und ihr habt Coverversionen in Auftrag gegeben.

Klaus Meinhardt: Der Plan war zunächst eine Wiederveröffentlichung, weil es diese „Classix“-Reihe auf L‘Age d‘Or geben soll.

Pascal Fuhlbrügge: Wobei wir ja auch früher immer schon mal darüber geredet haben.

Meinhardt: Das hat sich eigentlich alles dadurch ergeben, dass, je mehr wir zusammengekommen sind, auch die Ansprüche gestiegen sind.

Kristof Schreuf: Die Coverversionen sind für mich auch so was wie eine zusätzliche Legitimation: Weil wir uns ja auch angreifbar machen, indem wir anderen Leuten, fiktiven Lieblingsbands, die Stücke in die Hand geben – in der Hoffnung, dass die was damit anfangen können. Wir haben das den Versuch genannt, herauszukriegen, ob es so was wie einen Gebrauchswert der Kolossalen Jugend gibt.

Mitgemacht haben „Egoexpress“, Masha Qrella mit „Kissogram“, Tad Gaier, Melissa Logan und „Von Spar“, Bernadette La Hengst mit Ekkehard Ehlers sowie „Helgoland“ und Teobi.

Schreuf: Die Idee mit diesen Kombinationen finde ich toll. Wir haben es denen vorgeschlagen, und glücklicherweise haben sie diese Vorschläge angenommen. Ich kann vielleicht noch ergänzen, dass die Version, die Melissa Logan, Ted Gaier und Von Spar von „Party“ gemacht haben, unser Lieblingsstück ist.

Fuhlbrügge: Zumindest das, worauf sich alle einigen können.

Schreuf: Es ist ja nicht so, dass man einen großartigen Vergleich hätte – niemand macht Coverversionen. Oder wenn doch, dann sehen sie oftmals aus wie skurrile Liebhaberaktionen.

Meinhardt: Das hat sich ein bisschen normalisiert. Auch durch Johnny Cash.

Schreuf: Ich weiß nicht, ob Tom Petty viel rausgekriegt hat, als Johnny Cash Stücke von ihm spielte, oder ob Soundgarden viel rausgekriegt haben. Da läuft es ja eher so, dass die betreffenden Musiker sich geehrt fühlen: Gott nimmt etwas von seinen Aposteln entgegen.

Fuhlbrügge: Da würde ich mich aber auch geehrt fühlen.

Auf den Alben sind ja auch zwei Stücke dokumentiert, die ihr von anderen gecovert habt.

Fuhlbrügge: Also, „Louie, Louie“ zu spielen, war, glaube ich, eine Idee von mir.

Meinhardt: Ich bin nach wie vor nicht glücklich mit unserer Version. Ich weiß noch genau, was ich damals als Idee hatte ... Kennst du noch diese New Yorker Band Pussy Galore? Mir schwebte dieser Autounfall-Sound vor.

Schreuf: Wir sind dabei weniger von dem Stück ausgegangen als von unserem Geschmack und unserem Vorhaben. Es fallen da Eigenschaften auf, die auch die Kolossale Jugend immer gehabt hat. Nämlich bei fast jeder Äußerung so eine Erhabenheitsgeste.

Fuhlbrügge: Meine Güte!

Meinhardt: Sagen wir: Eine gewollte Erhabenheit.

Schreuf: Nicht unbedingt Größe, keine Arroganz. Es bedeutet: So viel Respekt wie möglich für die Leute, die es hören. Das meint auch eine gewisse Verantwortung und einen gewissen Ernst. Und den Hinweis, dass es um die Wurst geht. Dass da etwas auf irgendeines Messers Schneide steht. Eine gewisse Dramatik.

Meinhardt: Da kann ich mich anschließen. Diesen etwas melodramatischen Effekt, den sollten die Stücke schon haben. Aber ich empfinde es bei „Louie, Louie“ eher nicht so.

Schreuf: Jetzt können wir vielleicht einen Bogen schlagen: Ich hab mich damals sehr dafür eingesetzt, dass wir „Heaven“ machen. Es ist nicht so wichtig, welche Verbindung von David Byrne, den Talking Heads oder dem Stück zu uns besteht. Was mich daran fasziniert hat, war der Sänger Pascal Fuhlbrügge. Ich hatte eine bestimmte Figur vor Augen, wenn ich Pascal singen hörte: Marlene Dietrich. Eindeutig. Er hat „Heaven“ so gesungen wie Marlene Dietrich „Sag‘ mir, wo die Blumen sind“.

Meinhardt: Kristof erzählte mal, seine Mutter hätte Heile heile boches gehört, und danach gesagt: „Bei diesem letzten Stück auf der Platte, wie du da singst, das bist so richtig du.“ Beim einzigen Stück, wo er nicht singt!

Die CDs „Heile heile boches“ und „Leopard II“ sowie die 12-Inch-EP „Um und bei Kolossale Jugend“ sind auf L‘Age d‘Or/Rough Trade erschienen