Kunstrundgang
: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um

Bis 12. Dezember, Katharina Eleonore Behrend Fotografien 1904–1928 im Verborgenen Museum, Mi–Fr 15–19, Sa, So 12–16 Uhr, Schlüterstr. 70

Im Dezember 1908 fotografierte sich die zwanzigjährige Katharina Eleonore Behrend nackt vor einer Draperie im Salon des elterlichen Wohnhauses in Hannover. Diese Aktaufnahme war mehr als ungewöhnlich und nur vor dem Hintergrund der Reformbewegung um 1900 verständlich. Angefangen bei der Kleidung bis zum Wohnen nahm sie das gesamte Leben ins Visier. Der reformierte Mensch war sportlich, er liebte die freie Natur, in der er sich gerne nackt bewegte – so hatte er sich in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgesetzt. Katharina Behrend war dem weit voraus. Sie entstammte dem wohlhabenden Bildungsbürgertum, aus dem die Reformbewegung und nicht zuletzt die Fotoamateurbewegung hervorgingen. Nur Amateure wie sie konnten, frei von wirtschaftlichen Zwängen und vom künstlerischen Legitimationsdruck des Berufsfotografen, zu entschiedenen Parteigängern des modernen Lebens werden. Alltagsmotive waren ihnen kein Tabu. Freilich meinte dieser Alltag einen gehobenen Lebensstil. Das zeigen die rund 70 ungezwungenen, in ihrer technischen Qualität gleichwohl hervorragenden Aufnahmen von der Familie und Freunden, die Behrend bei ihren Freizeitvergnügungen in den Bergen, am Meer oder beim Sport wie Tennis machte. Die Bilder – der Beitrag des Verborgenen Museums zum Monat der Fotografie in Berlin – erinnern an die berühmten Aufnahmen ihres Altersgenossen Jacques-Henri Lartigue. Wie dessen frühe Fotografie ist auch der Nachlass von 900 Fotografien, den das Nederlands Fotomuseum in Rotterdam von Katharina Behrend aufbewahrt, ein bedeutsames kulturhistorisches Dokument der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Anders als Lartigue gab Behrend das Fotografieren nach Gründung einer eigenen Familie – 1913 heiratete sie nach Holland – allmählich auf.