Kontrolle und Strafe

Die doppelte Unterdrückung: Das Tegeler Gefangenentheater „aufBruch“ spielt Einar Schleefs „Schwarz Rot Gold – Wir haben ein Gesetz“, ein Stück über gebrochene und verhärtete Männer

VON JÖRG SUNDERMEIER

Es ist ein gigantischer Demütigungsapparat. Man geht auf hohe Mauern zu, geht hinter hohe Mauern, bereits der Besuchereingang der JVA Tegel, das „Tor 2“ zeigt einem, wer hier die Macht ist. Man ist froh, dass man wieder raus darf. Mehrere Tage vorab muss man seine Ausweisnummer preisgeben, selbstredend wird der Ausweis kontrolliert. Dann wird man gebeten, die Taschen auszuleeren. Ich habe in meiner Hemdtasche einen gültigen und einen ungültigen BVG-Fahrschein vergessen, doch das geht nicht, guter Mann, der gültige hat ja einen Wert. Einen symbolischen? Ist das Handlungsware, ein gültiger BVG-Fahrschein, wird das auf dem inneren Schwarzmarkt gegen Dope getauscht? Wie auch immer, das große, erste Tor ist bereits geschlossen, ich kann nicht mehr zu den Schließfächern, gut, schmeiße ich die Fahrscheine eben in den Müll. Später ist der Mülleimer noch da, nicht ausgeleert, der gebrauchte Fahrschein liegt noch da, nur der noch gültige ist weg.

Nachdem man durch ein zweites und drittes Tor geleitet worden ist, erreicht man schließlich den Saal der Anstalt, die Stühle für die Premierenzuschauer stehen links und rechts der Bühnenbauten. Gegeben wird das Stück „Schwarz Rot Gold – Wir haben ein Gesetz“. Das Projekt aufBruch macht seit 1997 Theaterarbeit mit Gefangenen im größten Männerknast Deutschlands, zurzeit hat das Gefangenenensemble 25 Mitglieder. Die Männer, die zum Teil jahrelange Haftstrafen verbüßen, spielen erstaunlich professionell.

„Schwarz Rot Gold“ setzt sich aus Texten Einar Schleefs zusammen, ergänzt um autobiografische Texte der Gefangenen. Zentral ist, wie so oft bei Schleef, das Verhältnis zur Mutter, sein „Gertrud“-Roman war deshalb der Hauptlieferant, Tagebücher und Stücke dienten ebenfalls als Material. Wie immer bei Schleef wird das Regime der Mutter, die wiederum als Agentin des Vaters fungiert, mit der politischen Unterdrückung in Deutschland, also unter den Nazis, in der DDR und in der BRD vermengt. Schleefs Männer sind verhärtet und gebrochen, und selbstredend wird auch hier, unter der Regie von Peter Atanassow, reichlich Gebrauch vom Militärmantel und der Hitlerjungen-Kurzhose gemacht.

Wenn ein solches Stück im – sagen wir einmal – Berliner Ensemble liefe, wäre es ein bisschen peinlich, wenn Schauspieler vor einem Abonnentenpublikum das deutsche Drama als Kampf gegen die Mutter auf die Bühne bringen. Hier allerdings, angesichts der teilweise martialisch, teilweise ungemein sanft wirkenden Schauspieler, angesichts der festen Mauern, in dem dieses Stück zur Aufführung kommt, bekommt der Kampf gegen die Unterdrückung eine neue Bedeutung, er wird gewissermaßen wahr. Wenn sich die Männer – die meisten spielen mindestens einmal einen „Schleef“ – am Ende des Stückes auf einem Laufsteg zusammenkrümmen und „die Mutter“ (grandios von Frank B. Berg gespielt) über sie hinwegschreitet und sie mit der riesigen schwarz-rot-goldenen Flagge bedeckt, dann hat das kein leeres Pathos, sondern ist ungemein ergreifend. Denn egal, was diese Männer getan haben, hier werden sie vor allem bestraft und nicht wieder, wie immer behauptet, in die Gesellschaft zurückgeführt.

Zwar lässt das Gefängnis diese Aufführung zu, doch werden die Gefangenen, die als Zuschauer zugelassen sind, den „Externen“ ebenfalls auf eine demütigende Weise vorgeführt. Am Ende der Premiere bittet der Regisseur, nicht länger zu klatschen, da die Schauspieler in 25 Minuten weggeschlossen würden und man noch ein bisschen feiern wolle. Für uns, die wir raus dürfen, ist es ergreifend, man vergisst auch kurzzeitig den Knast, in dem man sich nach dem Applaus umso mehr wieder befindet. Die Externen feierten danach in der „Goldenen Freiheit“, der JVA direkt gegenüber. Vielleicht konnten einige der Schauspieler aus ihren Zellenfenstern ja wenigstens rübergucken.

Justizvollzugsanstalt Tegel, 20., 22., 27., 29. Oktober, 18.30 Uhr. Letzter Einlass 18 Uhr, Info Tel. 247 67 72