Der britische Autor Graham Swift liest im Literaturhaus aus „Das helle Licht des Tages“
: Figuren mit Patina

Eine schmale, steile Treppe, nicht sehr Vertrauen erweckend, führt zu seinem Büro. Für das Vertrauen sorgt Rita, die blonde Sekretärin. Er ist Privatdetektiv. Seine Klientinnen: meist betrogene Ehefrauen. Mit manchen schläft er. Und dann kommt die Eine zur Tür herein, die sein Leben verändern wird.

Nein, es handelt sich nicht um Humphrey Bogart und Lauren Bacall, auch sind wir in keinem Chandler-Roman. Wir sind in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts, im Süden Londons, in der Detektei von George Webb – im neuen Roman des britischen Autors Graham Swift mit dem Titel Das helle Licht des Tages, aus dem er jetzt im Literaturhaus lesen wird. Sein Held hadert mit dem Schicksal: vom Polizeidienst suspendiert, von der Ehefrau verlassen. Der Beruf des Detektivs passt zu ihm wie die dazugehörige Aura der Einsamkeit.

Es geschieht nicht allzu viel. Bis Sarah Nash durch die Tür seines Büros und in sein Leben tritt. Sie braucht keine Beweise für die Untreue ihres Mannes Bob. Dass er eine Beziehung zu der jungen Kroatin Kristina hat, ist offenkundig. Sie wird jedoch nach Kroatien zurückkehren. George soll das Paar auf dem Flughafen beobachten und Sarah Gewissheit verschaffen, dass es sich tatsächlich trennt. Denn sie hofft auf einen Neuanfang. Sie bereitet ein aufwendiges Mahl vor, sie macht sich schön. Doch als er vor ihr steht, sticht sie ihm mit dem Küchenmesser ins Herz. Sarah wird als Mörderin verurteilt. George liebt sie, und er wird warten. Mindestens noch acht weitere Jahre.

Obwohl alle Requisiten vorhanden sind, handelt es sich bei diesem Buch jedoch nicht um einen klassischen Kriminalroman. Die Spannung speist sich nicht aus der Aufklärung des Verbrechens. Man weiß sehr früh, was geschehen ist. Vielmehr folgt man George in seinen Versuchen, zu begreifen, warum es genau so und nicht anders gekommen ist. „Etwas ereignet sich. Wir überschreiten eine Grenze, wir machen eine Tür auf, von deren Vorhandensein wir vorher nichts gewusst haben. Es hätte auch nicht passieren können, wir hätten es auch nicht zu erfahren brauchen.“

Diese Grenze treibt ihn um, dieses innere, oft unbekannt bleibende Potenzial – das beglückend, verzehrend, unheilvoll wirken kann. Etwas kommt über einen, heißt es mehrmals. Bei ihm ist es diese unmögliche Liebe zu Sarah, die für ihn unhintergehbar ist. Bei Sarahs Mann ist es die absolute Hingabe an Kristina, die ihn zu einem anderen und – nach der Trennung von ihr – zum Gespenst seiner selbst werden ließ. Und als eine solche Grenzüberschreitung begreift George auch Sarahs Tat. Sie weiß nun von sich, und muss damit leben, dass sie imstande war zu töten. Sie, die das niemals für möglich gehalten hätte – und doch zustach, als sie in Bobs Gesicht diesen blicklosen, gebrochenen Ausdruck sah.

Der Leser erfährt alles aus der Ich-Perspektive Georges. Kunstvoll sind die Zeitebenen seiner Erinnerungen ineinander verschachtelt, die er alle an einem Tag, dem zweiten Jahrestag des Mordes, durchläuft. Swift hat die Fragen nach der Liebe, der eigenen Existenz, in einen atmosphärisch dichten Erzählkosmos eingebettet. Manchmal aber streifen seine Figuren Stereotype, auf welchen sich Patina abgelagert hat. Dann ist George Webb ein bisschen zu sehr eine Variante von Humphrey Bogart. Und Sarah Nash, wie auch andere beschriebene Frauen, haben ein wenig zu viel vom Typ Lauren Bacall. CAROLA EBELING

Graham Swift: Das helle Licht des Tages. München/Wien 2003, 327 S., 19,90 Euro. Lesung: Do, 6.11., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38