„Ein Soziologe ist kein Zoologe“

An der Lichtenberger KinderUni geben sich Professoren redliche Mühe, Grundschüler für Soziologie, Verwaltung oder Rechtswissenschaft zu begeistern. Das einzige Problem: Kaum ein Kind findet den Weg ins Audimax

Wie mache ich den Kindern die Soziologie schmackhaft? Vielleicht so: „Ein Soziologe ist kein Zoologe. Der arbeitet ein paar Meter weiter im Tierpark.“ Vielleicht aber auch so: „Die Soziologie behandelt die Themen einer Gesellschaft.“ Professor Jochen Schulz zur Wiesch gibt sich redlich Mühe, sein Publikum zu begeistern. Aber was ist Gesellschaft? Wissenschaft ist für Nichtwissenschaftler schwierig und für Kinder sowieso. Die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Lichtenberg will bis Ende November mit einer KinderUni Grundschulkindern Theoretisches anschaulich machen. Allein es scheint niemanden zu interessieren.

Im Audimax sind sechshundert Stühle zu besetzen, und der Großteil bleibt am Dienstagnachmittag leer. Nur sieben Kinder haben den Weg hierher gefunden. Die Zahl der Eltern und Mitarbeiter der KinderUni übertrifft die der Kinder um mehr als das Doppelte.

Ratlosigkeit an allen Fronten. Liegt es am Thema? Soziologe Schulz zur Wiesch referiert über „Das Leben in Berlin“ und darüber, ob das kinderleicht ist. Er tut das sehr anschaulich und verständlich mit Bildern und dem Märchen von der Stadt- und der Landmaus, wenn auch manchmal nicht frei von Wissenschaftschinesisch. Manchmal rutscht ihm eine „These“ oder ein „Haushalt“ heraus, Begriffe, mit denen Kinder nichts anfangen können. Und manche Eltern nichts mit Universitäten. „Es gibt eine große Distanz zur Uni. Ob ich Nähe schaffen kann, hängt vom Elternhaus ab“, versucht Schulz zur Wiesch einen Erklärungsansatz für die gähnende Leere im Lichtenberger Audimax. Trotzdem sei ein Projekt wie die KinderUni gut, um Ängste zu überwinden.

Ängste kennen Tom Kieseling, 9 Jahre, aus Schönwalde und Max Schmatze, 8 Jahre, aus Hohenschönhausen nicht. Tom und Max sind Bilderbuchkinder. Sie sitzen in der ersten Reihe, reden manchmal rein, haben schlaue Antworten parat und sind außerdem auch noch furchtbar sympathisch. Max hat von der KinderUni in der Schule gehört. Tom sagt, sein Opa habe die Zeitung KUL mit nach Hause gebracht, das eigens für die Veranstaltung erstellte Druckwerk. „Eigentlich sollte noch meine Freundin Magdalena dabei sein. Die hatte aber heute keine Zeit“, spricht Max in das Mikro eines Radioreporters.

Die Idee der KinderUni wurde in Tübingen geboren. Dort strömte der akademische Nachwuchs, und zwar gleich „in Scharen“ in die Uni – so steht es jedenfalls in der Zeitung zum Projekt. Und schon werden Stimmen laut, es könne am Veranstaltungsort gelegen haben. Vorsichtig formuliert zur Wiesch, Lichtenberg sei als Standort nicht „begünstigt“. Dem hält Professor Claudius Ohder, Prorektor der FH, entgegen: „In Lichtenberg ist entgegen allen Vorurteilen ein hoher Bildungsstand zu verzeichnen.“ Kristine Kretschmer vom Pressebüro „Sowieso“, das sich um die Vermarktung der KinderUni kümmert, spekuliert: „Vielleicht ist Lichtenberg bei vielen ein weißer Flecken auf der persönlichen Landkarte.“

An der Werbung kann es wohlnicht gelegen haben: Schon Anfang September lagen an allen Lichtenberger Grundschulen Flyer aus. Nach den Herbstferien gab es dann das Vorlesungsverzeichnis. Die Unterlagen wurden nach Aussagen von den Rektoren der Richard-Wagner- und der Hermann-Gmeiner-Grundschule auch von den Lehrern unter die Kinder gebracht. An der Richard-Wagner-Grundschule bekamen die begabten Kinder sogar eine Extraeinladung. Tom und Max glauben jedenfalls fest an das Konzept der KinderUni – und daran, dass beim nächsten Mal viel mehr Kinder da sein werden. LIA PETRIDIS

Nächste Termine: 12. 11., 16 Uhr, „Was kümmern uns Gesetze?“, 17. 11., 16 Uhr, „Wenn es zu Hause richtig knallt …, 19. 11., 16 Uhr, „Muss Strafe sein?“