Wissen, woher der Wind weht

Der Dokumentarfilm „The Weather Underground“ erzählt von einer Zeit, in der Vietnam viele Menschen dazu brachte, vieles falsch zu machen

„Ich glaube, der Vietnamkrieg hat uns alle etwas verrückt gemacht“, sagt einer der grau gewordenen Militanten gegen Ende des Dokumentarfilms „The Weather Underground“ von Sam Green und Bill Siegel. Und tatsächlich: Wenn man Bernadine Dohrn sieht, wie sie im kurzen Minikleid und mit Sofia-Loren-Sonnenbrille 1969 den Reportern der „bourgeoisen Presse“ den Eintritt zur SDS-Convention verwehrt, kommt es einem einigermaßen verrückt vor. Hier wird keine radikale Pose zitiert, um das eigene Leben aufzuhübschen, dies ist das Original in seiner ganzen durchgedrehten Schönheit.

Die Weathermen (die sich nach den Zeilen „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows“ aus Bob Dylans „Subterrenean Homesick Blues“ benannt hatten) waren eine radikale linke Fraktion in der amerikanischen Studentenorganisation SDS. Auf einer Convention in Chicago 1969 übernahmen sie die Leitung des SDS und begannen, „den Krieg nach Hause zu tragen“. Sie organisierten die „Days of Rage“ in Chicago, vier Tage voller Straßenschlachten, und begannen ein Netzwerk von Kommunen überall in den USA aufzubauen. Sie befreiten Timothy Leary aus dem Gefängnis (aus Verbundenheit, aber auch weil sie eine Menge Geld dafür bekamen) und starteten eine Bombenkampagne gegen symbolische Ziele US-amerikanischer Machtausübung. Es gelang ihnen sogar, erfolgreich einen Sprengsatz im Pentagon zu platzieren.

Dass „The Weather Underground“ in den USA eine überwiegend positive Resonanz fand und auf dem diesjährigen Sundance-Festival sogar einen Preis bekam, dürfte vor allem an dem Mut liegen, diesen Film überhaupt zu machen. Denn so sehr einen die Bilder oft mitnehmen, die interessanten Fragen spart der Film aus.

Das Leben im Untergrund etwa – zehn Jahre, in denen trotz der größten Fahndung in der Geschichte des FBI niemand verhaftet wurde – wird nur spärlich belichtet. Dass sich 1976 einige Mitglieder des Weather Underground bereit erklärten, gemeinsam mit dem Regisseur Emile de Antonio einen Film über das Leben im Untergrund zu drehen, erfährt man höchstens nebenbei. „Underground“ wird zwar einige Sekunden gezeigt, näher darauf eingegangen wird nicht. Was erstaunt, war doch genau dieser Film ein gewagter Versuch der Gruppe, die eigene Isolation zu thematisieren und so Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen.

Nun hat dieser Verzicht auf alles Persönliche ja auch etwas für sich – gerade im Vergleich mit der Art und Weise, wie linke Militanz in den vergangenen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit verhandelt wurde, wo die Mitglieder der RAF meist als reine Privatpersonen dargestellt worden sind. Sei es als Untergetauchte, denen die politischen Gründe längst abhanden gekommen sind und deren Illegalität nur noch aus dem notwendigen Tunnelblick besteht (wie in Christian Paetzolds „Innere Sicherheit“) oder als Getriebene, die mit der Waffe in der Hand ihre ödipalen Dramen ausagieren (wie in Gerd Koenens „Vesper, Ensslin, Baader“).

Doch auch wenn es um politische Inhalte geht, bleibt der Film eigenartig blass. Es ist dem Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton vorbehalten, in einer alten Aufnahme die Weathermen-Strategie, sich durch das freiwillige Ins-offene-Messer-Rennen zu radikalisieren, als infantil und nicht revolutionär zu bezeichnen. Die Weathermen-Veteranen scheinen dazu nicht befragt worden zu sein.

Auch über die Gründe für die Selbstauflösung des Weather Underground erfährt man nur wenig. Da wird zwar ein Ausschnitt aus einem Jane-Fonda-Aerobic-Video gezeigt und gesagt, dass sich die Welt in den späten Siebzigern änderte. Doch ganz so harmonisch, wie es der Film suggeriert, scheint das ja alles nicht abgelaufen zu sein: Schließlich stellten sich nicht alle Weathermen-Mitglieder den Behörden. Einige wechselten in andere militante Gruppen – bezeichnenderweise genau diejenigen, die heute nur im Gefängnis interviewt werden können, wo sie hohe Haftstrafen verbüßen. Alle anderen leben in Freiheit, wurde doch niemand von ihnen verurteilt, weil das FBI bei ihrer Verfolgung selbst so viele Rechtsverstöße beging, dass das gesamte Beweismaterial unbrauchbar war.

Um diese Pointe als Schlussstein in den dramaturgischen Bogen einzupassen, nimmt sich der Film einige seiner Möglichkeiten. So erzählt „The Weather Underground“ die Geschichte von einer Zeit, in der ein ungerechter Krieg eine Gesellschaft zerrüttete und viele Menschen dazu brachte, vieles falsch zu machen. Dass danach eben nicht alles gut wurde, muss man sich selbst dazu denken. TOBIAS RAPP

„The Weather Underground“. Regie: Sam Green und Bill Siegel. USA 2003Termine siehe Programm