„Das ist gezielte Desinformation“

Die Behauptung der PDS-Sozialsenatorin Knake-Werner, das Verfassungsgerichtsurteil erzwinge weiteren Sozialabbau, macht Sibyll Klotz richtig sauer. Die Fraktionschefin der Grünen meint, der Senat schüre bewusst Unsicherheit: „Ich finde das schäbig“

Interview ROBIN ALEXANDER

taz: Frau Klotz, Sie ärgern sich über die Kommentierung des Verfassungsgerichtsurteils durch die Sozialsenatorin. Warum?

Sibyll Klotz: Frau Knake-Werner betreibt genauso wie der Regierende Bürgermeister, wie Peter Strieder und Harald Wolf gezielte Desinformation über die Folgen des Urteils. Der Senat schürt Unsicherheit in der Bevölkerung, um von den eigenen Versäumnissen abzulenken. Ich finde das wirklich schäbig. Das Urteil wird für eine Kahlschlagspolitik im sozialen und kulturellen Bereich instrumentalisiert, die das Urteil als solches gar nicht vorschreibt.

Stimmt es denn nicht, dass das Urteil den Druck erhöht, Leistungen abzuschaffen, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind?

Im Gegenteil. Das Urteil eröffnet politischen Spielraum, denn es zwingt den Senat, darzulegen, warum einzelne Ausgaben getätigt werden oder nicht getätigt werden. Aber das Urteil schränkt unsere politische Handlungsfähigkeit nicht ein. Das Verfassungsgericht hat eben nicht verfügt, dass wir in Zukunft nur noch die Ausgaben tätigen dürfen, die Bundesgesetze vorschreiben. Die Hauptbotschaft ist, dass Berlin einen präzisen Konsolidierungspfad beschreiten muss. Dies hat der Senat versäumt, und deshalb hat er vor Gericht verloren.

Wie soll man Ausgaben für Blindengeld, Zulagen für Sozialhilfeempfänger, Drogenhilfe oder den Telebus für Behinderte begründen?

Das Gericht hat festgestellt, dass sich Berlin auf eine extreme Haushaltsnotlage berufen kann. Und das Gericht hat weiter festgestellt: In extremer Haushaltsnotlage darf die Kreditaufnahme sogar dazu verwendet werden, Ausgaben für Zuwendungen zu tätigen, die über gesetzliche Verpflichtungen hinausgehen. Man kann aus vertraglichen, aus wirtschaftlichen, aber natürlich auch aus sozialen Gründen zu Ausgaben verpflichtet sein. Wenn Frau Knake-Werner sagt, das Urteil zwinge sie, das Blindengeld zu streichen, oder man können nun keine Kita-Erzieherinnen einstellen, so ist das Quatsch. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Urteil und Streichungen besteht nicht.

Der Senat suggeriert diesen Zusammenhang …

… um seine Unfähigkeit bei der Aufstellung des Haushaltes zu kaschieren. Jetzt wollen sie der Opposition die Schuld in die Schuhe schieben! Frau Knake-Werner setzt dem Ganzen die Krone auf: Sie gibt auch noch dem Gericht Schuld. Ihre Argumentation läuft darauf hinaus: Der politische Zweck heiligt auch ungesetzliche Mittel.

An Sie wird der Vorwurf gerichtet: Mit der erfolgreichen Klage haben Sie einen Tagessieg über Rot-Rot errungen, um den Preis der Verschärfung des Sozialabbaus. Da ist gar nichts dran?

Nein. Das ist völlig aus der Luft gegriffen. Ich darf übrigens daran erinnern, dass, als wir noch über die Ampelkoalition verhandelten, Harald Wolf ankündigte, die PDS werde gegen eine verfassungswidrige Haushaltsaufstellung klagen.

Warum haben die Grünen nicht schon vor Jahren geklagt?

Dieser Haushalt war der erste, der schon bei seiner Einbringung absolut verfassungswidrig war. Mittlerweile liegt ja nicht nur die Nettokreditaufnahme über den Investitionen, sondern auch die Zinsen liegen über den Investitionen! Das hatte eine neue Qualität, deshalb haben wir uns zur Klage entschlossen.