„Mehr mit Hirn“

Im zarten Alter von 41 Jahren und nach einjähriger Verletzungspause ist Bobfahrer Christoph Langen bereit für seine letzte Saison in der Eisröhre

aus Berchtesgaden JOACHIM MÖLTER

Zuletzt riss bei Christoph Langen noch eine Bizepssehne im rechten Oberarm, aber das stört ihn jetzt auch nicht mehr. „Ich hatte ein paar Wochen Beschwerden beim Bankdrücken, beim Sprinten“, erzählt er, „aber das hat sich gelegt.“ Operiert werden müsse eine solche Verletzung nicht mehr, sagt er, und Zeit, die Verletzung richtig auszukurieren, hatte er im Spätsommer nicht. Vielleicht nach der Saison. Nach der Karriere. Dieser Winter soll ja der letzte sein, den der Bobfahrer Christoph Langen als Hochleistungssportler durchmacht. Ein Jahr hat er aussetzen müssen, spätestens nach der WM Ende Februar will er seine Laufbahn ganz beenden; er wird dann fast 42 Jahre alt sein. Vorher aber will Christoph Langen wissen, ob er sein Gefährt noch einmal an die Spitze steuern kann.

Vergangene Woche auf der WM-Bahn in Königssee, bei den ersten Ausscheidungsrennen der deutschen Fahrer für die Mitte November beginnende Weltcup-Saison, fuhr er sowohl im Zweier als auch im Vierer seinen nationalen Konkurrenten schon mal davon. Ein Ergebnis, das er nicht überbewerten wollte: Bei der zweiten Selektion am Dienstag in Altenberg lag Zweier-Europameister René Spies aus Winterberg wieder acht Zehntelsekunden vor ihm. Bundestrainer Raimund Bethge plant Langen dennoch schon vor der abschließenden Qualifikation im Vierer am Sonntag in seinem Weltcup-Team ein – sowohl im Zweier als auch im Vierer: „Fahrerisch ist Christoph da, wo er aufgehört hat. Alles andere muss sich in den Rennen gegen die Weltspitze zeigen“, sagt Betghe.

Christoph Langens Unternehmen Comeback steht freilich auf wackeligen Beinen. Im Oktober 2002 riss die Achillessehne im linken Bein, damals ließ er auch gleich sein linkes Knie operieren. Die Sehne ist in Ordnung, „aber das Knie ist nicht mehr reparabel“, erzählt Langen. Diagnose: „Knorpelschaden im Endstadium“. Es schwillt an, wenn er es so extrem belastet, wie er es gewohnt war. Langens Ehrgeiz ist legendär. Bundestrainer Bethge sagt: „Es war sehr schwer, ihn im Sommer an der Leine zu halten, damit er nicht überdreht.“ Wenn auf dem Plan einhundert Sprünge standen, hat Christoph Langen früher „halt 120 oder 150 gemacht, weil’s ihm nicht gereicht hat“, sagt Bethge: „Er hat immer gedacht, die anderen sind jünger, da muss er mehr machen.“ Auf seine alten Tage aber hat selbst Christoph Langen eingesehen, dass sich sein Körper zwischendurch erholen muss.

„Ich habe ein bisschen mehr mit Hirn gemacht“, sagt er. Wenn er sich die Sache recht überlegt hätte, hätte er seine Karriere auch nach dem Achillessehnenriss schon beenden können. Er hat ja alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Olympiamedaillen, Welt- und Europameistertitel. Und trotzdem hatte er das Gefühl, noch etwas beweisen zu müssen. Nach dem Olympiasieg von Salt Lake City 2002 im Zweier hatte er auf den Start im Vierer verzichtet, weil ihn die sowieso schon die ganze Saison schmerzende Plantarsehne im rechten Fuß zu arg plagte. „Böse Münder haben behauptet, ich hätte die Verletzung nur vorgetäuscht, weil ich mir gegen André Lange keine Chance ausgerechnet hätte“, erzählt Christoph Langen und wischt die Vorwürfe mit einem Wort weg: „Blödsinn!“

Den Unterhachinger Christoph Langen und den Oberhofer André Lange trennt ja mehr als nur ein Buchstabe im Nachnamen. Sie respektieren sich, aber sie mögen sich nicht sonderlich. Dass die Anschieber Enrico Kühn und Christoph Heyder im Sommer von Olympiasieger und Doppel-Weltmeister André Lange ins Team von Altmeister Langen gewechselt sind, dürfte die Rivalität nicht gemindert haben. Wenn es um seine Ziele in dieser Saison geht, gibt sich Christoph Langen bescheiden. Den Vorsprung, den er sich einst erarbeitet hat, habe er nicht mehr: „Es wäre ja eine Schmach für die anderen, wenn ich ein Jahr im Krankenhaus liege und ihnen dann noch um die Ohren fahre.“

Es wäre tatsächlich sensationell unter den gegenwärtigen Bedingungen. Langens bester Anschieber, Marco Jakobs, fällt mit Rückenproblemen bis Januar aus; Markus Zimmermann, der ihn in Salt Lake City zum Sieg schob, ist auch schon Ende 30 und beruflich stark eingebunden. In Königssee saß Heyder, der neue Mann, an der Bremse.

Es gehe ihm nicht um Weltcup-Siege oder WM-Titel, sondern darum, noch einmal eine anständige Saison zu fahren, sagt Christoph Langen: „Wenn am Schluss eine Medaille oder ein Titel rauskommt, wäre das ein Traum.“ André Lange mag sich davon nicht einlullen lassen. Er sagt: „Wer Christoph abschreibt, ist der erste Verlierer.“