Die Politischen

Das Ausstellungsprojekt „Made in Turkey“ zeigt die Arbeiten von 50 zeitgenössischen türkischen Künstlern an vier Orten in und um Hamburg

Es ist das Dazwischen, das die türkischen Gegenwartskünstler am besten kennen. Das gilt für ihre Zerrissenheit zwischen westlichen und östlichen Traditionen. Und es gilt für den Kunstmarkt: In der Türkei gebe es „nur zwei staatliche Museen für zeitgenössische Kunst und eine Hand voll Privatmuseen“, sagt Heike Stockhaus. „Und der europäische Kunstmarkt hört vor der Türkei auf.“

Heike Stockhaus bekam die türkische Gegenwartskunst trotzdem zu Gesicht, und zwar im Zuge einer Ernst-Barlach-Ausstellung, die vor drei Jahren durch die Türkei reiste. Stockhaus war als Kuratorin der Hamburger Ernst Barlach Museumsgesellschaft mit dabei und wollte danach die türkische Gegenwartskunst in Deutschland zeigen. Eine Überblicksschau sollte es werden, 50 Künstler aus den Jahren 1978 bis 2008, so etwas hatte es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. Stockhaus konzipierte die Ausstellung, die zunächst im Rahmen der Frankfurter Buchmesse gezeigt wurde. Derzeit ist sie an vier Orten in und um Hamburg zu sehen. Beteiligt sind das Ernst Barlach Museum in Wedel, der Kunstverein Elmshorn, die Hauptkirche St. Trinitatis Altona und die Drostei in Pinneberg.

Es geht um Malerei, Bildhauerei sowie Raum- und Videoinstallationen und was bei allen vier Ausstellungen auffällt, ist die viele Politik in der Kunst. Politik, die mit dem Westen zu tun hat: Die Themen sind der Irak-Krieg, der Streit um die Mohammed-Karikaturen oder die wirtschaftliche Durchdringung der Welt. Dabei wirken nicht die Haltungen fremd, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der diese KünstlerInnen politisch sind. Denn aktuelle westliche Kunstströmungen zielen auf vieles, aber nicht auf Politik. kli

Öffnungszeiten: www.madeinturkey-project.org. Am 5. April gibt es eine Busrundfahrt zu drei der Museen. Die Führungen macht Kuratorin Stockhaus. Der Bus startet um 10:10 Uhr in Uetersen und kann an späteren Stationen bestiegen werden. Anmeldung unter ☎ 04122 - 96 11 23. Weitere Infos: www.landdrostei.de

Drostei Pinneberg

DER ORT:

Ein barockes Schloss aus rotem Backstein, gelegen am Fuße eines weitläufigen Parks – beim Anblick der Pinneberger Drostei lässt sich nicht sofort erahnen, dass hier gerade zeitgenössische Kunst aus der Türkei zu sehen ist. Auch im Innern des Gebäudes setzt sich der Kontrast fort. Der pompöse Kronleuchter mag nicht ganz zur abstrakten Schwarz-Weiß-Arbeit an der Wand passen. Die Drostei beherbergt seit 1991 wechselnde Ausstellungen.

DIE WERKE:

Auch wenn sich die Werke der 20 Künstler in Technik und Medium stark unterscheiden, ist den meisten eines gemeinsam: Sie behandeln aktuelle, gesellschaftliche und politische Konflikte in der Türkei. So steigt in einem Trickfilm der stilisierte Atatürk von seinem Denkmal herab und hält in einem dunklen Wald Händchen mit einer verschleierten Frau. Der Künstler Extramücadeles zeigt hier, wie scheinbar einfach die Koexistenz von Islam und Laizismus sein könnte. Azade Köker hat eine lebensgroße Puppe in ein engmaschiges Netz gehüllt, darunter blitzt ein Bikini hervor. Ihre Arbeit „Kleid mit Maske“ stellt die Frage, ob nun die moderne oder die traditionelle Frau größeren gesellschaftlichen Zwängen unterliegt.

DER AUFREGER:

Ein weiteres Werk von Extramücadeles zeigt eine leicht bekleidete Blondine beim oralen Liebesspiel mit einem Tankstutzen, während die dazugehörige Zapfsäule statt Liter Tote im Irak zählt. Der kriegs-kritische Kurzfilm rief die stellvertretende Landrätin auf den Plan, die deutsche Frauen in ihrer Würde verletzt sah und das Werk als tendenziell pornographisch bezeichnete. Den Veranstaltern bescherte sie damit einen Anstieg der Besucherzahlen. MIC

St. Trinitatis Altona

DER ORT:

Durch eine schwere grüne Kirchentür geht es ins Innere der St. Trinitatis-Kirche in Hamburg-Altona. Im Eingangsbereich stehen Kartenständer mit Postkarten und Theaterprogrammen, im Hauptraum der Kirche steht ein Tisch mit Tee- und Kaffeekannen. Natürlich, Tee, denkt man sich, ausgeschenkt in den kleinen türkischen Teebechern. Stimmt alles. Das war‘s dann aber mit der Folklore.

DIE WERKE:

Wo ist jetzt nochmal die Kunst in St. Trinitatis? Sie fällt nicht ins Auge, denn sie hat ihre Anleihen bei der christlichen Ikonographie. Gleich rechts hängt ein großes goldenes Kruzifix, um das herum Neonröhren aus der Welt der Leuchtreklame hängen. Open 24 Hours. Iskender Yediler heißt der Künstler. Daneben gibt es Ölgemälde von Nazim Ünal Yilmaz im Stil der Alten Meister. Ein Ritter sitzt da auf einem Pferd und die dänische Fahne über ihm scheint auszulaufen. Farbe tropft ihm auf den Kopf. Die Nationalität ein Auslaufmodell? Möglicher Weise. Der Zusammenhang jedenfalls sind die Mohamed-Karikaturen, die 2006 in einer dänischen Zeitung veröffentlicht worden waren. Der Ritter ist ein Kreuzritter.

DER HINKUCKER:

Es wurde ein Mensch gekreuzigt, aber das Gebilde, an dem er hängt, ist kein Kreuz, sondern eine Staffelei. Links vor ihm steht ein Bürostuhl, rechts vor ihm stehen Dosen mit Pinseln und eine Flasche Hochprozentiges. Der Gekreuzigte sieht Christus ähnlich, ist aber der Künstler Sezai Özdemir, der das Bild gemalt hat. Es ist ein Selbstbildnis des Leids anhand christlicher Ikonographie. Ein Werk der Zerrissenheit mit dem Namen: „Aus dem Tagebuch eines Schizophrenen“. KLI

Ernst-Barlach-Museum Wedel

DER ORT:

Das Ernst-Barlach-Museum in Wedel sieht aus wie ein Mehrfamilienhaus. Doch hinter der grauen Fassade wartet eine Überraschung, denn das Museum ist neben Pinneberg der größte Ausstellungsraum von „Made in Turkey“. Auf drei Stockwerken sind Gemälde, Installationen und Videoprojektionen türkischer Künstler zu sehen. Um 16 Uhr sind noch zwei Besucherinnen da: eine deutsche Rentnerin und eine Korrespondentin einer türkischen Nachrichtenagentur. Die Rentnerin ist fasziniert von der Ausstellung. Die Werke seien „so ganz anders wie die der deutschen Künstler“, sagt sie.

DIE WERKE:

In einem Video von Sener und Erkan Özmen sind zwei Männer in der Wildnis Anatoliens zu sehen, die sich auf den Weg in den Westen machen. Im ersten Stock hängen Frauenporträts der Künstlerin Nur Kocak, die sowohl verschleierte als auch europäisch gekleidete Frauen zeigen. Unten sticht das Bild eines blutenden Soldaten ins Auge. Aufgeklebt auf das Bild sind ein Plastikgewehr und ein Heiligenschein.

DER HINKUCKER:

Antonio Cosentino bastelte aus Blechbüchsen Buchstaben, die zusammengesetzt das Motto der Veranstaltung darstellen:Made in Turkey. Das wäre nicht spektakulär, wenn die Worte nicht gerade in armenischer Sprache dastünden – und das, wo die Türkei offiziell noch immer den Völkermord an den Armeniern leugnet. Provokatives Potenzial hat auch ein Video, das Prostituierte in Istanbul bei der Werbung nach Kunden zeigt. JNO

Torhaus Elmshorn

DER ORT:

Ein Skulpturengarten säumt die Straße, die zum Torhaus in Elmshorn führt. In diesem unscheinbaren Haus ist der kleinste Teil der Reihe „Made in Turkey“ zu sehen. Kaum hat man das Torhaus betreten, befindet man sich mitten in der Ausstellung. Wenig größer als ein Wohnzimmer ist der Raum, wo die Werke von fünf Künstlern ausgestellt sind.

DIE WERKE:

An jeder Wand des kleinen Saals sind die Arbeiten eines anderen Künstlers zu sehen. Trotz ihrer ganz unterschiedlichen Art haben die Werke eine auffällige Gemeinsamkeit: Sie haben nichts mit Folklore zu tun. Irfan Önürmen hat in konsumkritischer Absicht 48 Piktogramme und politische Symbole auf Tüllstoff gedruckt. Kritisch gemeint ist auch Mustafa Pancars 30-teilige Collage über das Großstadtleben, die Werbung und den Luxus. Tufan Baltalar verbindet in ihrer Installation Bildhauerei und Malerei: Eine kleine menschliche Figur betrachtet ein Bild, auf welchem ein Mann mitten in der Natur zu sehen ist. Aus der Reihe „Zeitzeugen“ der Künstlerin Nurseren Tor sind in Elmshorn 36 von 139 Werke zu sehen. Die Bilder sind auf Manuskripte und Zeitungsausschnitte gemalt. Die Gesamtkomposition wirkt dabei wie ein visuelles Tagebuch. Da die Künstlerin viel unterwegs und an vielen Orten zuhause ist, steht bei ihr die Frage nach der kulturellen Identität im Vordergrund.

DER HINKUCKER:

Das Video „Brautkleid“ von Özlem Göks zeigt eine nackte Frau unter einem langen Brautschleier, der am Saum mit Gewichten versehen ist. Mit unsicheren Schritten scheint sich die Frau aus dieser Gefangenschaft befreien zu wollen. Letztlich jedoch ohne Erfolg – mit einem roten Band wird sie am Ende des Films gefesselt. Die Künstlerin versteht das Video als Beitrag zur Diskussion über die Zwangsheirat. Auf traditionellen Stickrahmen und in türkischer Sprache erläutert Özlem Göks zudem Begriffe wie Ehre, Tugend, Moral, Reinheit, aber auch Töten. Ihre zweiteilige Installation befasst sich mit dem Frauenbild in der Türkei – einem Land, in dem Säkularisierung und Islamisierung gleichzeitig voranschreiten. WACH