Blinde Frau soll raus

In Niedersachsen droht einer blinden Russin die Abschiebung und damit die Trennung von ihrer Familie weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind. Das vollziehende Ordnungsamt Celle empfiehlt ihr die freiwillige Ausreise

Manchmal hilft nur noch Sarkasmus. „Ob stumm, ob blind: Alle müssen Deutsch lernen“, sagt Anwalt Ulrich Wallmann, der die Russin Alla Mikhel vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg vertrat. Das hatte in der vergangenen Woche entschieden, dass die blinde Frau bis zum 16. April Deutschland verlassen muss, weil ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichend sind.

Die 48-jährige Alla Mikhel ist seit 28 Jahren mit einem Russlanddeutschen verheiratet. Der – wie auch ihre Kinder – konnten die erforderlichen Deutschkenntnisse vorweisen und leben nun seit zwei Jahren in Niedersachsen. Nach der Station Durchgangslager Friedland haben sie mittlerweile eine kleine Wohnung in Ovelgönne bei Celle bezogen. Von Deutschland aus hatte die Familie versucht, Alla Mikhel nachzuholen, als das nicht klappte reiste die Frau mit einem Tagesvisum über Polen ein und beantragte gleich am nächsten Tag die Aufenthaltserlaubnis, die ihr nun verwehrt wurde.

Anwalt Ulrich Wallmann hat vor Gericht die Schwierigkeit ins Feld geführt, als blinde Frau Deutsch zu lernen. „Lehrhörbücher für den deutschen Spracherwerb von Russen gibt es noch gar nicht.“ Das habe der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen für ihn recherchiert. Das Gericht wollte dem Anwalt darin nicht folgen. In der Urteilsbegründung heißt es, eine Sehbehinderung schlösse die Möglichkeit zur Erlernung der deutschen Sprache nicht aus.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts will Wallmann nicht angehen. „Legal ist nichts mehr zu machen“, sagt er und nennt, was Alla Mikhel droht, ein „legalisiertes Unrecht“. Schuld daran sei das verschärfte Zuwanderungsgesetzt, das kaum Ausnahmen dulde.

So sieht es auch Eckhard Ferg vom Ordnungsamt des Landkreises Celle, das den gerichtlichen Beschluss in die Wege zu leiten hat. Bedauerlich sei die Sache, sagt Ferg, und spricht von „einer Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit“, mitunter von einem Konflikt „zwischen Amt und Person.“ Aber wat mut, dat mut, so könnte man zusammenfassen, was Ferg noch so alles zu sagen hat über den Fall von Alla Mikhel, die nun leider „uneingeschränkt ausreisepflichtig“ sei, wie das im astreinen Behördendeutsch heißt.

Nun möchte das Ordnungsamt Alla Mikhel dazu bewegen, freiwillig auszureisen. Wenn sie einwilligt, sagt Ferg, „werden wir auch nicht darauf bestehen, dass am 16. April bis spätestens 23.59 Uhr die Ausreisebestätigung auf dem Tisch liegt“. Die könne, da sei man offen, dann auch ein paar Tage später eintrudeln. MAXIMILIAN PROBST