„Frauen über ihren eigenen Körper aufklären“

Vor 30 Jahren gründeten Berlinerinnen das erste Feministische Frauen Gesundheits Zentrum. Statt vor allem um Verhütung geht es heute auch um die Wechseljahre. Auch über den Namen wurde diskutiert. Im Vordergrund aber steht weiter die parteiische Beratung von Frauen für Frauen

VON FRIEDERIKE WYRWICH

Gut zwei Jahre liegen zwischen der Geburt von Anja Wheelhouse und der Gründung des Feministischen Frauen Gesundheits Zentrums (FFGZ). Die 27-jährige Praktikantin absolviert gerade ihre zweite Woche in dem Beratungszentrum für ausschließlich weibliche Patienten, das in diesem Monat 30 Jahre alt wird. „Egal wo ich von meinem Praktikumsort erzähle, kommt erst mal ein Lachen“, erzählt die Sozialpädagogik-Studentin. Feminismus sei einfach ein Begriff, der in ihrer Generation mit tausenden Vorurteilen behaftet ist. „Da fragen gleich alle: Was sind denn das für Frauen, die dort arbeiten – alles Hardcore-Lesben?“

Wahrscheinlich haben Lesben, auch Hardcore-, die Frauenbewegung ein entscheidendes Stück vorangebracht und folglich auch das FFGZ. Martina Schröder allerdings – Vortragende beim Infoabend „Brustgesundheit“ im Stadtteilzentrum Kreuzberg – trägt ihre Haare lang und zählt, zumindest rein äußerlich, nicht zu dieser Species. Sie erklärt vier Frauen die unterschiedlichen Knötchen und Geschwulste, die sich in der weiblichen Brust bilden können. Später kommen die Themen Wechseljahre und Brustkrebs zur Sprache. „Wir wollen Frauen über ihren eigenen Körper aufklären und Wissen nachvollziehbar vermitteln“, erklärt sie. Nur so könnten sie im Krankheitsfall ärztliche Entscheidungen hinterfragen und zwischen Therapien wählen.

Anders als in den Anfangsjahren geht es allerdings längst nicht mehr nur um das ungleiche Verhältnis zwischen männlichem Arzt und weiblicher Patientin. Wer sich im FFGZ beraten lässt, so ist zu vermuten, wählt sich auch sonst nicht ohne Not einen männlichen Gynäkologen. „Meine Frauenärztin war das Krasseste, was ich bisher erlebt habe“, sagt im Kreuzberger Stadtteilzentrum etwa Petra A.*, die vor kurzem erfuhr, dass sie eine Mastopathie in der Brust hat und deshalb Hormone nehmen soll. „Ich wollte wissen, was sie damit meint! Aber sie hat ein bisschen komisch gelächelt und ist nicht weiter darauf eingegangen.“ Mastopathie, erklärt Martina Schröder, heißt zunächst nichts weiter als „kranke Brust“. Es handelt sich dabei um meist harmlose Knötchen oder Zysten.

Im Zeitalter der Drei-Minuten-Medizin, in dem längst auch Ärztinnen Probleme damit haben, ihre Patientinnen auf Augenhöhe zu behandeln, versteht sich das FFGZ als unabhängige dritte Institution, die – so könnte man sagen – Verbraucherinnenschutz im Bereich Frauengesundheit betreibt. Standen zu Beginn noch Gruppenberatungen und Selbsterfahrungen im Vordergrund, wie etwa das legendäre kollektive Betrachten der eigenen Vagina mit Taschenlampe und Spekulum, werden inzwischen eher Dienstleistungen für Einzelne erbracht, erzählt die Sozialpädagogin Brigitte Sorg. „Das FFGZ ist mit den Frauen von damals gewachsen. Deshalb haben sich auch die Themen geändert.“ Ging es früher in großem Maße um Verhütung, informiert das Zentrum inzwischen viel stärker zum Thema Wechseljahre. Daneben bietet das FFGZ aber auch Beratungen und Veranstaltungen zu Themen wie Gebärmutterentfernung und gesundheitliche Folgen sexueller Gewalt, Hautgesundheit, Krebsfrüherkennung und Selbstheilung.

Wer die Schöneberger Altbauräume des FFGZ betritt, findet alles andere als ein klinisch weißes Gesundheitszentrum vor. Parkett knarrt in den hellen Büros unter den Füßen, Regale mit Infobroschüren säumen die Wände im Flur. Die Beratungsräume vermitteln eher ein Gefühl von aufgeräumter Behaglichkeit denn medizinischer Ordnung: Die blauen Sofas werden nur mit weißen Laken abgedeckt, wenn Frauen auf ihnen Diaphragmas und Portiokappen ausprobieren. Auch eine Ärztin findet man unter den Beraterinnen nicht – die Distanz zur Schulmedizin soll ausdrücklich gewahrt bleiben.

„Natürlich gab es auch bei uns Diskussionen um das Wort Feminismus“, gibt Sorg zu. „Aber dann gab es unterschiedliche Positionen, und so wurde der alte Name gelassen.“ Viel mehr möchte sie dazu lieber nicht sagen. Bundesweit haben die meisten Frauengesundheitszentren den Hinweis auf ihre politischen Wurzeln aus dem Titel gestrichen. Feministisch bedeute parteiliche Beratung von Frauen für Frauen, sagt Sorg und guckt zur Sicherheit noch mal auf einem Blatt Papier nach. „Aber das steht auch alles hier in diesem Artikel.“

Carola G.* (39) ist zu einer Portiokappen-Anpassung gekommen, wie sie typisch ist für das FFGZ. „Meine Frauenärztin hat mir die Kappe empfohlen“, erzählt sie. „Aber sie hat gleich gesagt, dass sie die nicht anpassen kann, weil sie das in ihrer Ausbildung nicht gelernt hat.“ Das FFGZ hat Carola G. bei der Suche im Internet an vorderster Stelle gefunden. Zu Pro Familia, sagt sie, wäre sie aber auch gegangen.

Wie Carola G. sind die meisten Frauen, die sich hier über Verhütung beraten lassen, um die 30 Jahre oder älter. Die hätten seit Jahren die Pille genommen und suchten nun eine Alternative zur täglichen Hormonbelastung, sagt Brigitte Sorg. „Die Pille gilt als sicherstes Verhütungsmittel und wird bei Teenagern – wie auch bei den Frauenärzten – kaum hinterfragt“, erklärt sie und führt gleich die Sicherheit der vier Zentimeter großen Portiokappe vor. Dennoch kämen auch 17- und 18-Jährige – oftmals ausgestattet mit einem guten Körpergefühl und starkem Selbstbewusstsein –, meistens von Müttern, die auch schon selbst ins FFGZ gegangen sind.

Die Erforschung des eigenen Körpers mit Taschenlampe und Spekulum wird immer noch in Sitzungen zu alternativen Verhütungsmethoden angeboten – auch wenn den Frauen inzwischen zur Wahl gestellt wird, ob sie sich lieber einzeln oder in der Gruppe selbst betrachten wollen. „Ach, ich war nicht sonderlich überrascht, wie das aussieht“, meint Carola G. Viel komischer fand sie, dass sich ihre Gruppe für die kollektive Untersuchung entschied. „Ich kam mir vor wie in den 70ern“, sagt sie lachend. „Das braucht schon ein bisschen Überwindung.“

Die Praktikantin Anja Wheelhouse hat sich trotz aller Lacher in ihrem Umkreis für das FFGZ entschieden. „Ich habe mir gedacht, ich erforsch mal, was das ist, dieser feministische Ansatz.“ Die Arbeitsatmosphäre, das kann sie nach zwei Wochen schon sagen, gefalle ihr viel besser als in der Klinik mit ihren hierarchischen Strukturen, in der sie eine Ausbildung zur Hebamme gemacht hat. „Außerdem gibt es bei mir an der Fachhochschule nicht ein Fach, das sich irgendwie speziell mit der Arbeit mit Frauen oder Mädchen beschäftigt“, sagt sie dann plötzlich. „Dabei arbeiten doch 80 Prozent von uns später mit Frauen!“

* Namen geändert

FFGZ-Veranstaltungen: „Brust-Selbstuntersuchung“, Frauenzentrum EWA, Prenzlauer Allee 6. „Verhütung – leicht gemacht“, Frauencafé Waschhaus, Gropiusstadt, Löwensteinring 22. Beide am 26. 10., 19 Uhr. Infos: www.ffgz.de