weizenbier, adieu! von JOACHIM SCHULZ
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Es ist das Ende einer wunderbaren Freundschaft. Sie begann in den frühen Achtzigerjahren, als ich zum Studium nach Hamburg zog. Die BAföG-Zahlungen waren kärglich, und daher sah ich mich veranlasst, meine Ausgaben mit der Strenge eines unerbittlichen Sparkommissars zu überwachen. „Was sollen wir trinken?“, flüsterte ich, als ich mir kurz nach dem Umzug einen Besuch in einer Gastwirtschaft erlaubte. „Das da!“, knarrte der Sparkommissar. Er zeigte auf das günstigste Bier auf der Getränkekarte, und so kam ich zum ersten Hefeweizen meines Lebens. Es schmeckte mir. Das Einzige, was mich störte, war die Zitronenscheibe, die seinerzeit noch von allen Wirten Norddeutschlands ins Hefebier geworfen wurde. „Was macht man damit?“, überlegte ich. „Ignorieren? Auspressen? Essen?“ Ich entschied mich, sie auszulutschen, denn schließlich hielt mich meine prekäre Haushaltslage dazu an, jede Möglichkeit der Vitaminzufuhr zu nutzen.

Die wenigen Hamburger, die ich in den folgenden Jahren näher kennen lernen durfte, beargwöhnten indes meinen Hefeweizenkonsum, da dieses Bier ihnen zu bayerisch war und „Bayern“ in Hamburg nichts anderes als ein Synonym für Luzifers Königreich ist. Weil aber Bayern nach Ansicht der Hanseaten gleich hinter den Stadtgrenzen beginnt, blieb ich – obwohl von der Nordseeküste stammend – in ihren Augen sowieso stets ein Fremder, und so saß ich oft traurig und allein in meiner Kirchenmauskemenate, trank Weizenbier, um zu vergessen, und bekam vom vielen Zitronenlutschen eine ganz pelzige Zunge.

Das Weizenbier war auch dabei, als ich die Nase endlich voll hatte vom Ausgestoßensein, meine Zelte in Hamburg abbrach und sie ein paar hundert Kilometer weiter südlich wieder aufbaute. Kaum hatte ich die Kisten und Kästen in mein neues Domizil geschafft, verfügte ich mich in die nächstbeste Schankstube, um zu feiern. Im Handumdrehen hatte ich Freunde, die mir erklärten, dass Zitrusfrüchte im Hefeweizen nichts zu suchen hätten. Gemeinsam mit ihnen trank ich eine ganze Batterie von Weizenpokalen leer, und ich war selig, den sauren Kompagnon meines Lieblingsbiers endlich los zu sein.

Es hat noch viele Momente gegeben, in denen das Weizenbier und ich unzertrennlich waren. Es tröstete mich nach Debakeln aller Art, löschte meinen Durst nach Feierabend, beflügelte mich, wenn es galt, in launiger Runde humorige Schnurren zum Besten zu geben. Jetzt aber müssen sich unsere Wege trennen. Von einem Tag auf den nächsten hat mein geheimnisvoller Körper nämlich beschlossen, den Hefetrunk nicht mehr zu vertragen: Kaum habe ich am Glas genippt, setzt – Hick! – ein quälender Schluckauf ein, der sich nicht bekämpfen lässt und bei weiterem Weizengenuss immer schlimmer wird.

Ich habe versucht, ärztlichen Rat einzuholen, doch der Mediziner, den ich konsultierte, kuckte mich an, als ob er darüber nachdenke, mich zur Therapie in eine psychiatrische Anstalt zu überweisen. Ich habe keine Wahl. Eine letzte Flasche will ich auf diese Freundschaft noch leeren. Ich werde teuer dafür bezahlen. Doch das sollte einem der Abschied von einem so treuen Gefährten wohl wert sein. Hick!