Um drei im Park

Nach Leverkusens 3:1 in der Champions League gegen einen disziplinlosen Haufen von AS Rom wissen jetzt alle, warum Rudi Völler dort seinen Job frustriert hingeschmissen hat

AUS LEVERKUSEN BERND MÜLLENDER

Der werdende Fernsehstar im Breitbildformat und einstige Bayer-Fußballboss Reiner Calmund hatte seinen Leib erstmals nach fast zwei Monaten wieder mal in die BayArena gerollt und befand anschließend kategorisch: „So eine Truppe hab ich noch nie gesehen.“ Gleich „6:1 oder 7:1“ hätte man „die abschießen müssen“, rechnete er die vielen kläglich vergebenen Chancen in Torerfolge hoch und hatte beim erbärmlich lustlosen und undisziplinierten AS Rom abwechselnd „das weißeste Ballett überhaupt, aber so was von ganz körperlos“ erkannt, dann „charakterliche Pflegefälle“ und schließlich sehr schmeichelhaft „solche Wichsgriffel“.

Roma also, der italienische Krisenclub, beladen mit aberwitzigen Schuldenbergen von Dortmunder Ausmaßen, verlassen vom entsetzt flüchtenden Trainer Rudi Völler, gebeutelt von rassistischen Fans und Schiedsrichter-Attacken von der Ehrentribüne. Und die Kernabteilung, also die Spieler? Eine Zirkustruppe. Divenhaft im Zweikampf und phlegmatisch, in der Abwehr mäßig organisiert, zudem mit aufreißend dandyhafter Attitüde in ihren körperbetonten Leibchen. Dazu boten sie alles, was der Deutsche am italienischen Fußball so liebt: Kaskaden von Mätzchen, Provokationen, Fallsucht, Verletzungsvortäuschungen. Eine Art fußballerische Comedia dell’Arte – wenn es wenigstens witzig gewesen wäre oder irgendeine Art Kunst oder zumindest gut geschauspielert.

Rudi Völler war fortgeblieben, weise ließ er die Tatsachen für sich sprechen. Bayer-Trainer Klaus Augenthaler erklärte: „Ich kann jetzt verstehen, warum der Rudi da nach 26 Tagen seine Koffer gepackt hat.“ Was ihm umgehend eine Standesrüge des derzeitigen römischen Interimstrainers Luigi Del Neri einbrachte, der Signore Augenthaler solle prego „vor seiner eigenen Haustür kehren“. Zur Überraschung aller befand Del Neri, sein konfuses Team habe „körperlich gut mitgehalten und gut gearbeitet“: „Die Mannschaft ist gar nicht so schlecht aufgetreten.“

Wobei schon der Begriff Mannschaft zweifelhaft war: Die Offensivabteilung – das waren die Auswahlspieler Totti, Cassano und Montella – hatte sich aus jedem Zusammenspiel komplett ausgeklinkt und nur auf Zufallsbeute wartend vorne herumgelungert. Und eine Elf waren die Vertreter des Horror-Calcio auch nur 60 Minuten lang. Nach dem 2:1 durch den bärenstarken Polen Jacek Krzynowek (Augenthaler: „Bewundernswert, wie der jetzt zündet“) per neuerlichem Fernschuss-Mottek flogen zwei römische Abwehrspieler nach widerlichen Attacken an ebenjenem Krzynowek dunkelrot vom Platz. Calmund fiel dazu „frecheste Schublade“ ein und „diese Flegel“. Die Bayer-Fans skandierten bei jedem weiteren Römer-Foul sehr nett: „Einer geht noch, einer geht noch raus.“

Ein leicht erklärbares Fußballspiel war es dennoch nicht. Manchmal hatte Romas Spielweise etwas von Freizeitfußball der Art Samstag um drei im Park. Die einen igeln sich um den Strafraum und dreschen die Bälle weg, die vermeintlichen Künstler stehen faul vorne herum; Mittelfeldspiel und Laufarbeit ausgeschlossen. Doch mit der Mischung aus Rüpelhaftigkeit und Larmoyanz tat sich Bayer erstaunlich schwer. Sie hatten keineswegs sicher, aber den Gegner mit seiner unorthodoxen Zonendeckung mürbe gespielt, wofür nachher rekordverdächtige 68 Prozent Ballbesitz sprachen. Kapitän Jens Nowotny befand: „So leicht waren die gar nicht zu spielen.“

Und all der bemühte Aufwand musste nicht zwangsläufig zum Erfolg führen. Zur Pause hatte Roma durch Tottis abgefälschten Freistoß unverdient geführt, was Beate Rehhagels Begleiter Otto auf der Ehrentribüne typisch klug analysierte: „So ist das eben im Fußball.“ Und kurz vor Schluss hätte der Tabellenletzte der Gruppe B mit der einzigen Gelegenheit fast noch ausgeglichen; ebenjener verspielte Junge mit Namen Totti hatte einen tollen Freistoß auf die Latte gezwirbelt. Rehhagel (erneut Otto): „Es geht eben manchmal nur um Zentimeter.“ Erst danach gelang dem eingetauschten Franca das 3:1.

„Glück“, befand Klaus Augenthaler nachher, „braucht man beim Kartenspielen und beim Würfeln. Im Fußball kann man Glück durch Disziplin und Laufbereitschaft erzwingen.“ Manchmal aber kann Fußball auch wie Würfeln und Kartenspielen sein. Romas Versuch einer Beweisführung ging knapper daneben, als es alle nachher wahrhaben wollten. Und so ahnt man, warum es bei Bayer in der Bundesliga nicht so recht laufen mag. Da ist die chamäleonhafte Elf selbst immer ein bisschen lethargisch wie der AS Rom.