Aushalten statt Weglachen

Im November startet die ARD die vierteilige Reihe „Damals in der DDR“. Die aufwändige Produktion ist schon in 34 Länder verkauft, obwohl – oder weil – sie nicht den Versuchungen der Ostalgie erliegt

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Erna Lindemann war in der DDR ganz oben, als Kranführerin in einer Rostocker Werft. Mehrfach wurde sie zur Heldin der Arbeit gekürt. Stolz ist sie noch heute. Nicht auf die Ehrennadeln. Aber darüber, es von der Rostklopferin bis hinauf auf den Kran geschafft zu haben.

Johannes Decker war in der DDR ganz unten. Hunderte Meter unter den Hügeln des Erzgebirges. Hat Uran abgebaut – für die Bombe. Und für den Weltfrieden, wie das in der Propaganda hieß. Dass die Stollen gegen jeden Fachverstand in den Berg getrieben wurden, hat die russische Militärmacht nicht interessiert. Johannes Decker schon. Als Vermesser der Wismut AG war er für die Sicherheit von 4.000 Bergleuten verantwortlich.

Irene Geismeier hat rübergemacht. Nach Westberlin. Zum Agitieren war sie mit einer FDJ-Schar auf den Ku’damm gekommen. Mit einer Papiertüte voller Bruchschokolade ging sie zurück. Eine alte Dame hatte sie der 16-Jährigen in die Hand gedrückt. Weil es denen drüben doch so schlecht erginge, damals im August 1951. Dabei hatten die da drüben gerade die Weltfestspiele der Jugend. Ein emotionales, eindringliches Fest, wie sich Irene Geismeier erinnert. Auch ohne Bruchschokolade.

Gunnar Dedio hat eine Dokumentation gedreht. Der Medienmacher auf der Werftarbeiterstadt Rostock, der auch 15 Jahre nach dem Mauerfall sagt, dass es ihm leichter fallen würde, einen Film über Wintersportler in Oberhof zu machen als über die Werftenkrisen in Bremen oder Kiel. Wo es, ganz wie in Rostock, kaum mehr echte Helden der Arbeit gibt. Nur noch ganz unheroische Geschichten des Scheiterns.

Unheroische Geschichten sind es auch, die MDR, WDR in Zusammenarbeit mit Gunnar Dedios Produktionsfirma ab dem 8. November im Ersten erzählen. Geschichten von Erna Lindemann, Johannes Decker und knapp vierzig weiteren so genannten Zeitzeugen. Ihnen gelingt es immer wieder, die gefühlte DDR plastisch erscheinen zu lassen. Und das ohne doofe Pointen und fast ohne Ostalgie. Ohne Club-Cola, wie sie dann doch wieder eingeschenkt werden musste, als in einem Ostberliner Kino ARD-Programmdirektor Günter Struve die Serie der Presse vorstellte.

Die vier Folgen „Damals in der DDR“ verstehen sich als Geschichts- und Geschichtenfernsehen und lassen die Menschen zu einer eigenen Sprache finden, die in den Ostalgieshows nur als nacktbadende, Florena auf die Haut und Nudossi aufs Brot schmierende Statisten vorkommen durften. Hätten doch all zu individuelle, vor allem aber abweichende Geschichten die kollektive Konstruktion von Erinnerung gestört. Oder waren es letztlich eh nur wir Wessis, die da staunenden Auges vor den Käfig DDR gezerrt wurden?

Seine Ziel sei es gewesen, so Regisseur Karsten Laske, „dass die Menschen endlich in der Lage sein sollen, die Widersprüche der DDR auszuhalten und nicht wegzulachen“. Sein Zielpublikum scheint die – inklusive Buch, Hörbuch, Hörfunkreihe und einer vom Bonner Haus der Geschichte konzipierten Wanderausstellung – 2,2 Millionen Euro teure Produktion bereits gefunden zu haben. Die Serie ist in 34 Länder verkauft. Selbst die eitle Tante BBC zeigt Interesse.

Dass „Damals in der DDR“ für den internationalen Markt indes in „Life behind the Wall“ umbenannt werden muss, verweist einmal mehr auf einen kolonialisierenden Blick, mit der das wiedervereinigte Deutschland auf die DDR guckt. Immerhin hat Ulrich Deppendorf angekündigt, sich in einem ähnlich angelegten Format auch einem anderen absurden Staat zu widmen – der Bonner Republik.