Untreue, Betrug, Diebstahl, das sind Blüten, die kein Kleingärtner gerne im Garten sieht. Doch in Hannover ist dagegen bisher kein Kraut gewachsen
: Es brennt im Kleingarten

Der Vorstand des hannoverschen Parzellenwesens hat mehrere Gerichtsverfahren verloren – und wartet auf weitere Urteileaus Hannover Thomas Schumacher

Ein Kleingärtner: „Alles Lüge! Herr Rädecker arbeitet nicht für uns“

Mit der kleingärtnerischen Idylle ist es in Hannover vorbei. Statt frischer Luft atmen die rund 80.000 Laubenpieper den Mief von Untreue und Betrug. Und das, ohne es zu wissen. Der Big Boss des hannoverschen Parzellenwesens, Karl-Heinz Rädecker, Präsident des Bezirksverbandes der Kleingärtner – des Dachverbandes aller Kleingartenvereine in Hannover – nutzt seine ehrenamtliche Funktion offenbar nach Gutdünken. Das Bundesarbeitsgericht hat ihm jetzt jedenfalls einen katastrophalen Umgang mit Vereinsgeldern nachgewiesen. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren. Jetzt regt sich zum ersten Mal Protest gegen den Präsidenten der Kleingärtner. Es brennt im Kleingarten.

Zurzeit sind die Kleingärtner sauer auf ihren Präsidenten, weil der mal wieder an ihnen vorbei entschieden hat. So interessierte sich eine Hannoveraner Immobilien-Firma für ein Grundstück am Yachthafen. Doch darauf ist eine Kleingartenkolonie zu Hause. Kein Problem, signalisiert Rädecker: „Ich habe schon mit den Pächtern gesprochen. Die werden eine Abfindung bekommen, dann geben sie die Gärten auf.“ Doch die Betroffenen sehen das ganz anders. „Alles Lüge! Herr Rädecker arbeitet nicht für uns“, schimpft Oskar Kleemann, Vorsitzender des Kleingartenvereins Tannerbergallee. Sein Vize Günther Twele wundert sich: „Wir sind eine funktionierende Kolonie. Alle Gärten sind besetzt. Keiner will raus. Der Bezirksverband müsste für den Erhalt unserer Gärten kämpfen.“

Dabei war es lange Zeit ruhig und friedlich in den kleinen Gärten. Nach dem Krieg sollten im Trümmerfeld mitten in der Stadt grüne Oasen entstehen, leicht für Familien mit Kinderwagen erreichbar, offen für alle BürgerInnen. So geschah es. Das Ergebnis : Rund um die City legt sich ein grünes Band von über 20.000 Gärten. Das macht den größten Teil des öffentlichen Grüns aus. Früher standen die HannoveranerInnen Schlange, um einen Kleingarten zu bekommen. Heute gehören diese Flächen zu den begehrtesten Spekulationsobjekten der Stadt. Doch die Investoren kommen nicht an die fette Beute ran. Es sei denn, die Kleingärtner geben die Gärten auf. Ausgerechnet der eigene Bezirksverband der Kleingärtner dealt jetzt mit den Filetstücken der Stadt. „Herr Rädecker darf nicht hinter unserem Rücken über unsere Gärten verhandeln“, ärgert sich Vereinschef Kleemann.

Schon einmal reiste der Präsident mit einem Koffer voller Bargeld an und entschädigte Kleingärtner der Gartenkolonie „Jerusalem“. Die Gärten wurden abgerissen, um für eine Müllverbrennungsanlage Platz zu machen. Genehmigt wurde die Anlage dann zwar nicht, aber der Investor, die Firma Papenburg, musste trotzdem für die platt gemachten Gärten zahlen. 300.000 Mark für den Abriss der Kolonie sind belegt. Zusätzliche 100.000 Mark sollen zu Gunsten der Kleingärtner geflossen sein. Genau kann sich Günther Papenburg nicht mehr erinnern. Für 300.000 Mark liegen Belege vor. Für 100.000 Mark nicht. Zwei Zeugen behaupten, die 100. 000 Mark gesehen zu haben: im Tresor des Bezirksverbandes. Da sind sie nicht mehr, und Präsident Rädecker sagt zur taz: „Papenburg hat nur 300.000 Mark bezahlt. Ich habe ihm gesagt, dass die Gärten nicht mehr wert seien. Alles andere ist Schwachsinn“. Ob alles nur schwachsinnig ist, ermittelt zur Zeit die Staatsanwaltschaft.

Hans Mönninghoff, Umweltdezernent der Stadt Hannover schüttelt den Kopf und mag eigentlich gar nichts sagen. Er verweist auf schwebende Verfahren gegen den Bezirksvorstand der Kleingärtner. Dabei geht es um Zuschüsse der Stadt für den Bau eines EXPO-Pavillons der Kleingärtner in Höhe von 300.000 Euro. 360.000 Euro sollte der Bau kosten. Per Vertrag verpflichtete sich der Bezirksverband, auf jeden Fall 60.000 Euro draufzulegen. Der Präsident präsentierte der Stadt aber nach Fertigstellung des Baus eine Rechnung von 460.000 Euro. Umweltdezernent Mönninghoff: „Die Belege waren nicht korrekt. Wir wollen mindestens 40.000 Euro zurück.“ Das Verblüffende: Nach dem Veto der Stadt zog Kleingartenpräsident Karl-Heinz Rädecker sang- und klanglos die eingereichten Belege zurück. Über die genaue Rückzahlung kann die Stadt noch keinen Forderungsbescheid erstellen. Alle Akten liegen bei der Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen den Vorstand wegen „Untreue zu Lasten der Kleingärtner“.

Außerdem überprüft die Stadt, ob der Bezirksverband überhaupt noch gemeinnützig ist. Städtische Zuschüsse, die zusätzlich zu den Abfindungen für aufgegebene Gärten an den Bezirksverband gezahlt worden sind, sollen nicht wie vorgesehen zur Förderung des Kleingartenwesen, sondern für Saus und Braus ausgegeben worden sein. Dies kam bei einem weiteren, jetzt abgeschlossenen Gerichtsverfahren heraus, das die KleingärtnerInnen an die 60.000 Euro kostet (siehe Kasten unten rechts).

Über diesen Fall möchte der Präsident aber nicht reden. Ein Verein, der für die Verbandssitzung Mitte November eine Aussprache beantragt hat, wird abgebügelt. „Darüber wird nicht gesprochen“, stellt Rädecker klar. Auch zum Tagesordnungspunkt „Wahlen“ gibt er sich bedeckt: „Zwei Vorstandmitglieder gehen. Einer wird Präsident des Landesverbandes, einer geht aus persönlichen Gründen.“ Er will Funktionär der Kleingärtner bleiben. Gegen eine auf der Sitzung zu beschließenden Pachterhöhung gibt es zum ersten Mal Protest an der Basis. Die befürchtet, ihr Chef will die anfallenden Gerichtskosten auf die Pacht umlegen. Der Vorstand will jegliche Diskussion unterdrücken – mit Freibier und kostenloser Verpflegung. „So war es in der Vergangenheit immer, erst besoffen machen, dann alle Forderungen des Präsidenten abnicken lassen“, murren einige Gartenfreunde.