Mit Yoga in die Ohnmacht

Jugendliche aus Hamburg und Chicago präsentieren auf Kampnagel ihr Projekt „Street Zen – Null/Zeroes“. Heute bereits tadelt die Gruppe Bushs Antiterrormaßnahmen im Stück „Undergoing Therapy for the Entire World“

Otis ( Robert Rodriguez) bastelt eine Bombe, schleppt sie in seine Highschool, irgendwo in den USA. Dort steht er, in Warteposition, hebt einen Stuhl in die Luft. Spannung. Bis das Möbelstück zu Boden saust. 24 Jugendliche stürmen in die Bühnenmitte, bedrängen Otis mit hoch erhobenen Fäusten, die dreiköpfige Band lässt die Sau raus. Alex Purcell quietscht freejazzig auf seinem Saxophon, Brendan Faloona traktiert das Schlagzeug, Jannis Kaffka hämmert eine schier unaushaltbare, monotone Tonfolge auf dem Klavier.

Otis‘ Bombe ist also hochgegangen. Den ohrenbetäubenden Lärm genießt der junge Mann zunächst. Doch dann, plötzlich, hält er sich gequält die Ohren zu. Regiseur Ron Bieganski ist begeistert. „Ja, genau so muss es sein. Die Bombenszene steht. Das Stück Street Zen – Null/Zeroes, das Jugendliche aus Chicago und Hamburg als Koproduktion dem Hamburger Publikum präsentieren wollen, ist noch im Werden. Keine zwei Wochen arbeiten sie daran, fast täglich intensiv drei bis vier Stunden, multimedial: Die Darsteller erfinden beziehungsreiche Gesten, die Musiker komponieren ihre eigenen Stücke, die Videogruppe liefert Stimmungsbilder.

Am Anfang stand der Workshop. In einer kreativen Schreibwerkstatt entstand der Text als gemeinsame Arbeitsgrundlage. Die Story: Schulalltag, im Mittelpunkt zwei Extreme. Eben dieser Otis, der das Gefühl hat, das niemand ihn wahrnimmt, egal, was er tut. Henry dagegen „ist davon besessen, dass alle anderen von ihm besessen sind, Mädchen, Lehrer, Eltern“, so der siebzehnjährige Darsteller Matthew Williams. „Deshalb fällt er andauernd in Ohnmacht.“

In Henrys Unbewusstem lauern die deutschen Mädchen und Jungen. Existieren sie? Existiert Henry? Diese Fragen verhandeln sie mit paradoxen Textfetzen und viel Bewegung. So will es das Konzept von Regisseur Bieganski. „Über die körperliche Herangehensweise denken die Jugendlichen nicht über ihre Rolle nach, während sie ihren Charakter entwickeln und später auch spielen. Sondern sie sind das, was sie darstellen.“

Kontaktimprovisation, Tai-Chi und Yogaelemente gehören für den Theatermacher in jeden Probenprozess: „Die Auseinandersetzung mit seinem leiblichen Selbst setzt Kreativität frei.“ Seit zwanzig Jahren arbeitet Bieganski so mit den jugendlichen „MadJoy Theatrics“ in Chicago, darunter Obdachlose, Missbrauchte, Arme. „Ich mache kein psychologisierendes Aufarbeitungstheater. Das würde die Jugendlichen nur in ihrer Opferrolle bestätigen. Ich hole sie ab, wo sie sind, mit der intensiven Arbeit entwickeln sie sich aus ihrer tragischen Situation heraus weiter.“ Vertrauen spielt dabei eine entscheidende Rolle, auch Kritik einstecken können.

Bevor die deutsch-amerikanische Koproduktion kommende Woche auf Kampnagel zur Aufführung kommt, präsentieren die Chicagoer heute zunächst ihre mulmigen Gefühle zu Bushs Antiterrorkrieg in ihrem Stück Undergoing Therapy For The Entire World. Katrin Jäger

Undergoing Therapy..., heute + morgen, 19 Uhr; Street Zen – Null/Zeroes, 13., 14.+ 15.11., 19 Uhr; Kampnagel